Fluglärmbelastung beeinflusst die Leseleistung und auch die Lebensqualität von Kindern negativ. Dies ist das Ergebnis des ersten fertiggestellten Moduls der NORAH-Studie, die gestern auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurde. In der Studie wurden mehr als 1200 Zweitklässler aus unterschiedlich mit Fluglärm belasteten Schulen und Wohnorten bezüglich ihrer Lesefähigkeiten getestet und nach ihrer Lebensqualität befragt. Dabei zeigte sich eine statistisch signifikante Beziehung zwischen Fluglärmbelastung und Leseleistung: eine Zunahme des Lärms um 10 dB(A) ging mit einer Verschlechterung der Gesamtleistung im Lesetest einher, die einem Rückstand von etwa einem Monat entspricht. Auch die schulische und gesundheitliche Lebensqualität der Kinder mit hoher Fluglärmbelastung war etwas vermindert, außerdem nahmen sie mehr Medikamente ein als Kinder aus ruhigen Gegenden. Befragte Lehrer berichteten von erheblichen Störungen im Unterricht durch den Fluglärm.
Die jetzt veröffentlichte Kinder-Studie ist ein Teil der Lärmwirkungsstudie NORAH (Noise-Related Annoyance, Cognition and Health), der bisher umfangreichsten Studie zu den Wirkungen von Fluglärm, aber auch Schienen- und Straßenlärm, auf Gesundheit und Lebensqualität der betroffenen Menschen. Die mittlerweile fast 10 Mio. teure Studie wird überwiegend vom Land Hessen finanziert. Zwei weitere Module (Belästigung und Gesundheit) sollen im kommenden Jahr fertiggestellt werden.
Einen kurzen Überblick geben folgende Presse/Fernsehberichte:
- "Kinder-Entwicklung leidet unter Fluglärm"
Bericht bei hr online, mit Video - "Zu laut zum Lernen"
Artikel in der Frankfurter Rundschau - "Fluglärm verzögert das Lesenlernen"
Artikel im Echo online - "Starker Fluglärm verzögert Leseentwicklung"
Artikel in der Ärztezeitung
Was hat die Studie im Detail ergeben?
Einen guten Überblick über alle Ergebnisse der Studie mit dem Namen "Wirkungen chronischer Fluglärmbelastung auf kognitive Leistungen und Lebensqualität bei Grundschulkindern" gibt die Zusammmenfassung des Ergebnisberichtes auf der NORAH-Webseite (etwa 5 Seiten und allgemein verständlich gehalten). Dort ist auch der komplette wissenschaftliche Ergebnisbericht zum Download verfügbar. Von der Pressekonferenz zur Vorstellung der Studie gibt es ein Video. Wer sich genauer für NORAH interessiert, findet auf der Seite zahlreiche weitere Informationen, auch zu den noch ausstehenden Modulen.
- Zusammenfassung der Ergebnisse der Kinder-Studie
- Wissenschaftlicher Ergebnisbericht
- Video von der Pressekonferenz zur Kinderstudie
- Übersichtsseite zur Kinderstudie
Die Ergebnisse der aktuellen Studie überraschen nicht. In den letzten Jahren hat es mehrere andere Studien mit ähnlicher Thematik gegeben (etwa "Munich Airport Study, "West London Schools Study", RANCH), die ebenfalls zu dem Schluss kamen, dass Fluglärm und auch Straßenverkehrslärm die Lernleistung von Kindern beeinträchtigen kann. Wer sich hier näher informieren will, findet jede Menge Material auf der Internetseite des Arbeitskreises Ärzte gegen Fluglärm. Es gibt dort sowohl kurze Zusammenfassungen der Studien als auch Links auf die Original-Dokumente.
Erste Reaktionen
Politik
Die Landesregierung begrüßte die Vorlage der Studie als "Erkenntnisfortschritt und Versachlichung der Fluglärmdebatte" und versprach, man wolle "das Übel an der Wurzel packen und weiter konsequent an der Reduzierung des Fluglärms arbeiten". Zudem wolle man prüfen, wie Kinder in besonders belasteten Gebieten unterstützt werden könnten, um die Benachteiligung auszugleichen. CDU und Grüne äußerten sich inhaltlich ähnlich, wobei die Grünen das Ergebnis der Studie etwas negativer bewerten als die CDU. Die SPD will die Ergebnisse scheinbar nicht recht glauben und hält genauere Auswertungen für erforderlich (z.B. darüber, welche anderen Faktoren die Lesekompetenz beeinflussen könnten). Eine parlamentarische Initiative wurde angekündigt. Die LINKE sieht sich in ihren Befürchtungen zu den schädlichen Auswirkungen des Fluglärms bestätigt und meint, die Studie gebe der Landesregierung jetzt eine Handhabe für eine Deckelung des Lärms.
- Landesregierung begrüßt Präsentation des Kindermoduls der Lärmwirkungsstudie
Pressemitteilung der Hessischen Landesregierung vom 04.11.2014 - Walter Arnold: Teilergebnisse der NORAH-Studie sind aufschlussreich und versachlichen Diskussion
Pressemitteilung der CDU vom 04.11.2014 - GRÜNE: Erste Ergebnisse der NORAH-Studie zeigen Bedarf für weitere Lärmschutzmaßnahmen
Pressemitteilung der Grünen vom 04.11.2014 - NORAH-Studie belegt: Fluglärm benachteiligt die schulische Entwicklung von Grundschulkindern
Pressemitteilung der Linken vom 04.11.2014 - Marius Weiß: Ergebnisse der NORAH-Teilstudie müssen detailliert ausgewertet werden
Pressemitteilung der SPD vom 04.11.2014
Während die Politik schnellen Aktionsbedarf sieht, warnte der Vorsitzende des Forums Flughafen und Region Prof. Wörner vor "Schnellschüssen". Die zuständigen Gremien (also insbesondere das FFR) müssten jetzt diskutieren, welche Konsequenzen gezogen werden sollten. Auf der Webseite der TU Kaiserslautern (von dort kommen die Autoren der Studie) findet sich eine Pressemitteilung, die vom FFR stammen könnte.
Kommunen, Initiativen, Betroffene
Die Initiative Zukunft Rhein-Main (ZRM) zeigte sich nicht überrascht von den Ergebnissen der Studie und sieht sich in ihren Befürchtungen bestätigt. Die ZRM fordert nun Konsequenzen, wie verstärkte Anstrengungen zum Schutz vor Fluglärm auch am Tag und eine Lärmobergrenze für die Region. Der BUND sagte, es sei "nicht hinnehmbar, dass die Kinder zu den Opfern des Flughafenwachstums werden." Mehr Schallschutz an Schulen sei nicht ausreichend. Das Fluglärmgesetz schütze die Gesundheit der Bevölkerung nur sehr unzureichend und müsse dringend nachgebessert werden. Bürgerinitiativen ärgern sich über die Verharmlosung der Studienergebnisse durch die Luftverkehrswirtschaft und befürchten, dass sich der Fluglärm nicht nur auf die untersuchte Leseleistung negativ auswirkt, sondern auch auf andere schulische Leistungen (dies liegt nach den Aussagen der Lehrer über die Störung des Unterrichtes durch den Fluglärm nahe).
- ZRM: Schlechtere Leseleistungen durch Fluglärm
Pressemitteilung vom 05.11.2014 - BUND: NORAH-Kinderstudie hat bedrückendes Ergebnis
Pressemitteilung des BUND vom 04.11.2014
Der Vorsitzende der Fluglärmkommission Jühe forderte eine Verbesserung des Lärmschutzes und die Kompensation von Belastungen durch erhöhten Einsatz von Ressourcen an den Schulen (etwa durch mehr Personal oder besseren passiven Schallschutz).
Die Gegenseite
Fraport versuchte abzuwiegeln: die Wirkungen des Fluglärms auf die Lernleistung seien zwar messbar, aber gering, andere Effekte hätten größere Wirkung. Das Wohlbefinden von Kindern und Eltern in der Region würden als hoch eingeschätzt. Dennoch sei das Engagement von Fraport beim Lärmschutz wichtig und richtig. Der BDL (Bundesverband der deutschen Luftverkehrswirtschaft) sagte, die Ergebnisse hätten die Basis für eine sachlich fundierte Diskussion zu den Auswirkungen von Lärm auf Zweitklässler geschaffen. Die Erkenntnisse der Studie könnten helfen, Lärmschutzmaßnahmen zielgerichtet einzusetzen, die Luftfahrtindustrie sei hier auf dem richtigen Weg. Die VHU (Vereinigung hessischer Unternehmerverbände) meinte, dass die Luftverkehrsunternehmen und die Hessische Landesregierung auf dem richtigen Weg beim Lärmschutz seien. Die Ergebnisse der Studie müssten jetzt in Ruhe ausgewertet werden.
- Flughafen Frankfurt: erste Ergebnisse der NORAH-Studie vorgestellt
Pressemitteilung der Fraport vom 04.11.2014 - Siegloch: Ergebnisse der NORAH-Studie schaffen Basis für eine sachliche Lärmdiskussion!
Pressemitteilung des BDL vom 04.11.2014 - Fasbender: "Luftverkehrsunternehmen und Landesregierung Hessen sind auf richtigem Weg beim Lärmschutz"
Pressemitteilung der VHU 04.11.2014
Lärmwirkungs-Forschung Kinder Schulunterricht, gestört durch Fluglärm NORAH-Studie
... oder seriöse Wissenschaft?