Das Hauptargument für den Ausbau des Frankfurter Flughafens sind stets die neuen Arbeitsplätze, die dadurch geschaffen würden. Doch die Geschichte vom Job-Motor stimmt nicht, sagt Wirtschaftsprofessor Dr. Friedrich Thießen.
Sie waren schon im Jahr 2000 ein vehementer Kritiker der These, der Flughafen werde jede Menge Arbeitsplätze schaffen. Sehen Sie sich heute bestätigt?
Wir hatten im Rhein-Main-Institut zu diesem Zeitpunkt bereits die Arbeitsplatzgutachten analysiert und Mängel daran aufgezeigt. Das haben wir der Öffentlichkeit mitgeteilt. Dass sich bis heute die behaupteten Arbeitsplätze nicht nachweisen lassen, bestätigt die damaligen Befürchtungen. Es ist sehr schade, dass die Politik so verbissen an der falschen These festgehalten hat. Jetzt haben wir einen verbreiterten Fluglärmkorridor und nicht die versprochenen Arbeitsplätze.
In der Mediation war noch von 250.000 neuen Arbeitsplätzen die Rede, später wurde die Zahl auf 100.000 korrigiert. Bei der Eröffnung der neuen Landebahn wurde von 25.000 neuen Arbeitsplätzen geredet. Sehen Sie dahinter Methode?
Am Anfang wurde wahrscheinlich einfach ins Blaue hinein versprochen, weil man die Menschen beeindrucken wollte. Dann kamen die Gutachten und gaben diese Zahlen gar nicht her. Es musste reduziert werden. Schließlich bat der Regierungspräsident einen Gutachter, sein Gutachten zu aktualisieren. Danach konnte dieser aber seine früheren Behauptungen nicht mehr aufrechterhalten und die Zahlen sanken noch einmal. Dass auf die Gutachter nicht wie gehofft Verlass war, hat die Politik vielleicht nicht geahnt. Aber dass am Anfang furchtbar übertrieben wurde, hatte sicherlich Methode. Man wollte mit den unglaublich positiv wirkenden Zahlen den Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen. Diese wurden dadurch in die „unsoziale“ Ecke gedrängt.
Warum war die Arbeitsplatzfrage so wichtig?
Man muss bedenken, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland in den 1990er Jahren ein gravierendes gesellschaftliches Problem darstellte. 1998 hatte sie ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Und genau zu der Zeit fing das Mediationsverfahren an. Die Agenda 2010, welche die verkrusteten Strukturen der Arbeitsmärkte endlich aufbrach und das Arbeitslosenproblem löste, kam erst später, nämlich 2003. Erst seitdem trat das Arbeitslosenproblem langsam in den Hintergrund, und zwar überall in Deutschland, nicht nur an Flughafenstandorten.
Trotzdem war eigentlich auch schon Ende der 1990er Jahre klar, dass bei den verkrusteten Arbeitsmärkten auch ein Flughafen nichts retten konnte. Das Arbeitsplatzargument wurde vorgeschoben, weil man den Flughafen ausbauen wollte. Man benutzte sozusagen die gesellschaftliche Notlage für die eigenen wirtschaftlichen Zwecke.
Sie behaupten, in den Gutachten, auf die sich Fraport seinerzeit im Genehmigungsverfahren für die neue Landebahn beruft, sind wichtige Aspekte nicht berücksichtigt worden. Welche sind das?
Das Rhein-Main-Institut hatte 12 Wissenschaftler aus ganz Deutschland gebeten, die Gutachten zu beurteilen. Dabei kamen vielfältige Mängel ans Tageslicht. In einem Gutachten sind zum Beispiel nur die positiv wirkenden Effekte behandelt worden, während die negativen außen vor blieben. Dadurch sind die Wirkungen des Flughafens überzeichnet worden. In einem anderen Gutachten sind nicht repräsentative Daten ausgewählt worden. Nach der Aktualisierung mit unbeeinflussten Daten zeigte sich dann das Ausmaß der Fehlschätzung.
Sie haben in einer Studie der TU Chemnitz zwanzig Regionen in Deutschland bezüglich Bruttosozialprodukt und Arbeitsplätze miteinander verglichen, wirtschaftlich prosperierende, aber auch ländlich geprägte. Was war das überraschende Ergebnis?
Abweichung der durchschnittlichen Wachstumsraten in Verbindung mit der Entfernung zum nächsten regionalen Flughafen im Untersuchungsgebiet Süd (2004-2006) |
Diese Graphik zeigt es: Die Nähe zu einem Flughafen spielt hinsichtlich des Wirtschaftswachstums einer Kommune keine Rolle. Die blauen Kästchen markieren die untersuchten Standorte. In der Horizontalen ist ihre Entfernung zum Flughafen in Minuaten angegeben und in der Vertikalen ihre Abweichnung vom durchschnittlichen Wirtschaftswachstum. |
Zur Vorbemerkung muss ich sagen, dass Gutachten von Flughäfen regelmäßig nur ausgewählte Regionen betrachten. Da kam der Verdacht auf, dass man bewusst selektiert hat. Wir haben daher sämtliche Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland daraufhin untersucht, ob ihr Wachstum etwas mit der Nähe zu einem größeren oder kleineren oder gar keinem Flughafen zu tun hat. Das überraschende Ergebnis: Wachstum von Regionen ist völlig unabhängig von der Entfernung zu einem Flughafen. Das zeigte sich auch wieder kürzlich im Städte-Ranking der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Ob eine Stadt oder eine Region oben oder unten im Ranking steht, korreliert nicht mit der Größe des oder Entfernung zum nächsten Flughafen.
Spielt es für den vermeintlichen Jobmotor eine Rolle wie groß ein Flughafen ist?
Es gilt das eben Gesagte. Zusätzlich zeigen Untersuchungen, dass in Regionen mit großen Flughäfen ein Strukturwandel dahingehend zu erkennen ist, dass das Produzierende Gewerbe zurückgeht und das Dienstleistungsgewerbe gewinnt. Dieser Strukturwandel ist zwar eine generelle Tendenz in westlichen Industrieländern. Aber an größeren Flughafenstandorten scheint er sich etwas schneller zu vollziehen.
Eine Ihrer Erkenntnisse lautet „Kannibalisierung schafft keine neuen Jobs“. Was meinen Sie damit?
Warum führen Flughafenausbauten zu neuen Jobs? Der Grund ist die Zunahme des Luftverkehrs. Nun stellt man aber fest, dass die Zunahme des Luftverkehrs an den ausgebauten Flughäfen zum Teil daher rührt, dass Verkehre von der Bahn und von anderen Flughäfen abgezogen werden. Man spricht von der Kannibalisierung: ein Verkehrsträger verdrängt, man sagt auch kannibalisiert, den anderen. Wenn aber Verkehre von der Bahn oder anderen Flughäfen abgezogen werden, entstehen netto natürlich keine neuen Arbeitsplätze: an dem einen Flughafen werden so viele geschaffen wie am anderen verschwinden. In einem Gutachten zum Ausbau des Flughafens München wird der zunehmende Verkehr damit begründet, dass vom Flughafen Frankfurt Verkehr abgezogen wird. Solche Kannibalisierungseffekte werden der Bevölkerung regelmäßig vorenthalten.
Zur Person:
Dr. Friedrich Thießen, Jahrgang 1957, hat an der Technischen Universität Chemnitz eine Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre. Thießen ist Mitherausgeber des Buchs „Weiche Standortfaktoren – Erfolgsfaktoren regionaler Wirtschaftsentwicklung“. Als sozial engagierter Privatmann ist er einer von vier Vorständen des Vereins „Rhein-Main-Institut für Arbeits-, Struktur- und Umweltforschung“.
Arbeitsplätze am Frankfurter Flughafen EXTRABLATT
Unser Standpunkt: Ja zur Wirtschaftsregion Rhein-Main - Nein zum Flughafenausbau !
Vertrauen der Kommunen erschüttert