Pressemitteilung und Urteil des VGH Kassel: 3/2009 vom 15. Januar 2009
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat durch zwei weitere, heute bekannt gegebene Beschlüsse sämtliche, noch anhängige Eilanträge abgelehnt, die auf eine Aussetzung der Vollziehung des Plans für die Erweiterung des Flughafens Frankfurt Main gerichtet waren.
Durch Beschluss vom 18. Dezember 2007 hat das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung den Plan für den Ausbau des Flughafens Frankfurt Main festgestellt. Es ist vorgesehen, eine neue Landebahn nordwestlich des Flughafens zu errichten Außerdem soll ein drittes Terminal gebaut und das Fracht- und Wartungszentrum im Süden des Flughafens erweitert werden. Dafür werden Teile des Mark- und Gundwaldes und in erheblichem Umfang des Kelsterbacher Waldes beansprucht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die noch anhängigen Eilanträge von Kommunen und von privaten Personen und Gesellschaften in zwei Verfahren zusammengefasst: in einem Verfahren werden die Anträge von insgesamt 13 Kommunen behandelt und in einem weiteren Verfahren die Anträge der privaten Eigentümer von Wohnraum oder gewerblichen Anlagen. Über das Eilrechtsschutzbegehren des BUND war bereits mit Beschluss vom 2. Januar 2009 abschlägig entschieden worden.
Die umfangreich begründeten Eilentscheidungen des Hessischen Verwaltungsgerichthofs vom heutigen Tag beruhen auf zwei Grundprinzipien:
Zum einen weist das Gericht darauf hin, dass der Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau des Flughafens kraft Gesetzes sofort vollziehbar sei; das bedeute, dass keine besonderen Gründe für die Dringlichkeit der Maßnahme dargelegt und von dem Gericht geprüft werden müssten. Deshalb sei es auch nicht gerechtfertigt, die Ausführung des Planfeststellungsbeschlusses im Hinblick auf die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise zu unterbinden. Das Verfahren sei zudem auch auf eine langjährige Entwicklung bis zum Prognosehorizont 2020 ausgelegt. Die Planung von Projekten dieser Größenordnung erfordere einen erheblichen Vorlauf und könne nicht von momentanen wirtschaftlichen Ereignissen abhängig gemacht werden. Im Übrigen diene die gesetzliche Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht nur der Beschleunigung des Zulassungsverfahrens. Der Gesetzgeber verfolge damit ausdrücklich auch das Ziel, Investitionshemmnisse abzubauen; diesem Aspekt komme gerade in der aktuellen wirtschaftlichen Situation eine besondere Bedeutung zu.
Zum anderen sei in den Eilverfahren zu beachten, dass nicht alle eventuellen Planungsfehler bei der endgültigen Entscheidung zu einer Aufhebung des Ausbauplans führten. Mängel, die im gerichtlichen Hauptsacheverfahren oder in einem ergänzenden Planfeststellungsverfahren ausgeräumt werden könnten, stünden der Herstellung der Landebahn und der sonstigen baulichen Anlagen nicht entgegen. Sie rechtfertigten es damit auch nicht, den Ausbauplan zu suspendieren.
Allerdings macht der 11. Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in den Gründen seiner Entscheidungen deutlich, dass die Nachtflugregelung in dem angefochtenen Planfeststellungsbeschluss einer rechtlichen Überprüfung voraussichtlich nicht standhalten werde. Die planfestgestellte Betriebsregelung erlaube durchschnittlich 150 planmäßige Flugbewegungen in einer Nacht, von denen 17 auf die Kernzeit der Nacht von 23 bis 5 Uhr entfallen dürften. Nach derzeitiger Einschätzung des Gerichts trägt diese Regelung dem gesetzlich gebotenen Schutz der Nachtruhe nicht ausreichend Rechnung. Der Schutz der Bevölkerung vor nächtlichem Fluglärm werde in ausgeprägter Form im Luftverkehrsgesetz (LuftVG) vorgeschrieben. Über diese allgemeine Normierung hinaus sei die Planfeststellungsbehörde im Falle des Flughafens Frankfurt Main aber auch durch den Grundsatz zum Nachtlärmschutz in dem 2007 geänderten Landesentwicklungsplan gebunden, betont das Gericht. In der Begründung zu dieser Landesplanung werde dem Verbot planmäßiger Flüge in der Nacht von 23 bis 5 Uhr als Ergebnis des Mediationsverfahrens ein so erhebliches Gewicht beigemessen, dass daraus eine Abwägungsdirektive folge, die der Planfeststellungsbehörde kaum einen Spielraum für die Zulassung planmäßiger Flüge in der sogenannten Mediationsnacht lasse. Nur mit dieser Einschränkung könne eine weitere Steigerung der gewaltigen Lärmbelastung, der eine riesige Anzahl von Menschen in der Umgebung des Flughafens schon jetzt ausgesetzt sei, zugelassen werden. Als bedenklich stufen die Richter auch die Regelung für die Nachtrandstunden (22 bis 23 und 5 bis 6 Uhr) ein, soweit die Zahl der zulässigen Flugbewegungen auf den Jahresdurchschnitt bezogen sei. Dies ermögliche es, Flüge von der Winterflugplanperiode in die Hauptreisezeit zu verlegen, wodurch es zu einer besonders nachteiligen Bündelung von Flügen in einzelnen Nächten kommen könne. Derartige Planungsmängel führten aber nicht zu einer Aufhebung des Ausbauplans; sie könnten vielmehr im Wege der Planergänzung ausgeräumt werden und rechtfertigten es deshalb nicht, den Planfeststellungsbeschluss vorläufig außer Vollzug zu setzen.
Im Übrigen hat das Gericht keine durchgreifenden Bedenken gegen das geplante Lärmschutzkonzept. Die Zumutbarkeit von Fluglärm im Einzelfall sei in dem 2007 in Kraft getretenen neuen Fluglärmschutzgesetz definiert. Aus der gesetzlichen Regelung ergäben sich auch Ansprüche auf baulichen Schallschutz und Entschädigungsleistungen im Falle einer Überschreitung der Zumutbarkeitsgrenze. In Fällen gesundheitsgefährdender Lärmbelastungen habe die Planfeststellungsbehörde den Betroffenen Ansprüche auf Übernahme der Grundstücke eingeräumt. Einzelheiten müssten auch insoweit einer Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Nach Auffassung des Senats hat die Planfeststellungsbehörde den öffentlichen Interessen an der Erhaltung und Stärkung des Luftverkehrsstandortes Frankfurt Main als bedeutendes Drehkreuz des internationalen Flugverkehrs und an der Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur ohne Abwägungsfehler den Vorrang vor den Lärmschutz- und sonstigen Belangen der Antragsteller eingeräumt. Sie habe die gegen das Projekt erhobenen Einwendungen in gebotenem Umfang ermittelt und zutreffend in die planerische Abwägung eingestellt. Die Entscheidung zugunsten der Erweiterung des Flughafens und die damit zwangsläufig verbundene Zurücksetzung der entgegenstehenden Lärmschutzbelange falle in den Kernbereich der planerischen Gestaltungsfreiheit und sei einer uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle entzogen. Dem Gericht sei es verwehrt, eine politisch-planerische Entscheidung des Landes durch eine eigene Ermessensbetätigung zu ersetzen.
Weiter wird in den Entscheidungsgründen ausgeführt, auch unter dem Aspekt des Vogelschlags werde der Planfeststellungsbeschluss vom 18. Dezember 2007 voraussichtlich nicht aufzuheben sein. Bei Landeanflügen bei Ostwind, also aus westlicher Richtung, würden die Flugzeuge auf dem Weg zur neuen Landebahn den Main zwar in einer Höhe überqueren, die ein erhöhtes Vogelfluggeschehen erwarten lasse. Dieser Problematik habe die Planfeststellungsbehörde aber durch Anordnung eines Überwachungs- und Vorwarnsystems Rechnung getragen. Dieses Konzept ist nach der Auffassung des Gerichts geeignet, das Risiko eines Vogelschlags auf das sonst übliche und gesellschaftlich akzeptierte Maß zu reduzieren.
Auch das allgemeine Risiko eines Flugzeugabsturzes oder gar eines Störfalls bewege sich im Rahmen allgemeiner Akzeptanz. Bezüglich der Luftschadstoffe würden die normativen Grenzwerte weitgehend eingehalten; im Übrigen verweise die Planfeststellungsbehörde zu Recht auf die Luftreinhalteplanung. Die Belange der Luftreinhaltung stünden der Ausführung des Planfeststellungsbeschlusses jedenfalls nicht grundsätzlich entgegen. Eventuelle Mängel könnten auch in diesem Zusammenhang im Wege einer Planergänzung ausgeräumt werden, wie der Verwaltungsgerichtshof auch insoweit nochmals betont.
Schließlich habe die Planfeststellungsbehörde dem öffentlichen Interesse an der Realisierung der Flughafenerweiterung ohne Verstoß gegen das Abwägungsgebot den Vorrang auch vor den Belangen der betroffenen Kommunen eingeräumt. Das gelte nicht nur für die beanspruchten Flächen, sondern auch für Einschränkungen der kommunalen Planungshoheit. Allerdings wird der Verwaltungsgerichtshof in den Hauptsacheverfahren im Einzelnen überprüfen, ob mit der Ausweisung von Verkaufsflächen im geplanten Terminal 3 - im Zusammenhang mit der sonstigen wirtschaftlichen Betätigung der Fraport - unter dem Aspekt eines Eingriffs in den Einzelhandel eine unzulässige Beeinträchtigung kommunaler Belange verbunden ist.
Mit diesen Beschlüssen sind die Eilverfahren zum Ausbau des Flughafens Frankfurt/Main insgesamt abgeschlossen, nachdem der Eilantrag des BUND bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgelehnt worden ist.
Die Beschlüsse sind unanfechtbar.
In den Hauptsacheverfahren wird das Gericht Musterverfahren auswählen und im Juni dieses Jahres mündlich verhandeln. Die übrigen Hauptsacheverfahren sollen bis zum rechtskräftigen Abschluss der ausgewählten Musterverfahren ausgesetzt werden.
Hess. VGH, Beschluss vom 15. Januar 2009 in den Verfahren der Kommunen Stadt Kelsterbach, Stadt Offenbach am Main, Stadt Mörfelden-Walldorf, Stadt Neu-Isenburg, Stadt Rüsselsheim, Gemeinde Bischofsheim, Flörsheim, Kreis Groß-Gerau, Gemeinde Erzhausen, Stadt Griesheim, Gemeinde Groß-Zimmern, Gemeinde Roßdorf, Stadt Weiterstadt Aktenzeichen: 11 B 254/08.T, 11 B 283/08.T, 11 B 313/08.T, 11 B 352/08.T, 11 B 357/08.T, 11 B 361/08.T, 11 B 366/08.T und 11 B 367/08.T
Hess. VGH, Beschluss vom 15. Januar 2009 in den Verfahren privater Personen und Gesellschaften:
Aktenzeichen: 11 B 2754/07.T, 11 B 344/08.T, 11 B 353/08.T, 11 B 358/08.T, 11 B 360/08.T, 11 B 364/08.T, 11 B 478/08.T, 11 B 491/08.T, 11 B 501/08.T, 11 B 2266/08.T und 11 B 2269/08.T
Hess. VGH, Beschluss vom 2. Januar 2009 in dem Verfahren des BUND: Aktenzeichen: 11 B 368/08.T
Gerichtsurteile Klage (vor Gericht) Klagen gegen Flughafenausbau Hessischer Verwaltungsgerichtshof (VGH)