Der Flughafen Leipzig/Halle kann zu einem internationalen Drehkreuz für den Frachtexpressverkehr ausgebaut werden. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat in einem Musterverfahren die Klagen von fünf Anwohnern gegen den Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidiums Leipzig vom 4. November 2004 im Wesentlichen abgewiesen und damit im Ergebnis seinen Eilbeschluss vom 19. Mai 2005 bestätigt. Allerdings hat das Gericht den Planfeststellungsbeschluss aufgehoben, soweit darin in der Nachtzeit (22:00 Uhr bis 06:00 Uhr) auch solche Flüge unbeschränkt zugelassen wurden, die nicht dem Frachtexpressverkehr, sondern z. B. dem Passagierverkehr dienen. Hierüber muss das Regierungspräsidium eine erneute Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts treffen.
Der Planfeststellungsbeschluss gibt der Trägerin des Vorhabens, der Flughafen Leipzig/Halle GmbH, Baurecht für die Verlängerung der im Jahr 1959 angelegten Start- und Landebahn Süd und deren Drehung um 20 Grad, damit die Bahn parallel zu der in den neunziger Jahren errichteten Start- und Landebahn Nord verläuft. Dadurch wird ein gleichzeitiger Flugbetrieb auf beiden Bahnen möglich. Ein solches Parallelbahnsystem und das Recht auf einen uneingeschränkten Nachtflugbetrieb werden als notwendig angesehen, um das mit der Planung angestrebte Ziel, ein internationales Drehkreuz für den Frachtexpressverkehr einzurichten, erreichen zu können. Mit diesen beiden Voraussetzungen soll gewährleistet werden, dass eiliges Frachtgut am Tag nach der Einlieferung an seinem Bestimmungsort in Deutschland oder im europäischen Ausland ausgeliefert werden kann ("Nachtsprung"). Die hierfür erforderlichen Anflüge finden vorwiegend zwischen 00:00 Uhr und 01:30 Uhr, die Abflüge zwischen 04:00 Uhr und 05:30 Uhr statt; in den Spitzenstunden werden bis zu 50 Frachtmaschinen landen oder wieder starten. Um die Anwohner des Flughafens vor dem zu erwartenden intensiven nächtlichen Fluglärm zu schützen und ihnen die Nachtruhe zu erhalten, hat die Planfeststellungsbehörde den Betreiber des Flughafens verpflichtet, für Schallschutzvorrichtungen mit Belüftungseinrichtungen Sorge zu tragen (sog. passiver Lärmschutz).
Nachdem es das Bundesverwaltungsgericht durch Beschluss vom 19. Mai 2005 (siehe Pressemitteilung Nr. 30/2005) abgelehnt hatte, im Wege einstweiligen Rechtsschutzes den Beginn der Bauarbeiten vorläufig zu untersagen, hat die DHL, einer der großen weltweit operierenden Frachtdienstleister, entsprechend ihrer vorherigen Ankündigung damit begonnen, ihr bisher in Brüssel gelegenes europäisches Zentrum auf dem Flughafen Leipzig/Halle zu errichten.
Den Hauptantrag der Kläger, den Planfeststellungsbeschluss vom 4. November 2004 insgesamt aufzuheben, hat das Bundesverwaltungsgericht mit der Begründung abgewiesen, dass sowohl das Planungsziel, ein internationales Drehkreuz für den Frachtexpressdienst zu schaffen, als auch der beabsichtigte Ausbau zu einem Parallelbahnsystem rechtlich nicht zu beanstanden seien. Mit dem Vorhaben würden öffentliche Interessen verfolgt, die es rechtfertigten, den Anwohnern des Flughafens die mit einem nächtlichen Frachtflugverkehr verbundenen erheblichen Lärmbelastungen grundsätzlich zuzumuten. Für das Frachtdrehkreuz bestehe ein luftrechtliches Verkehrsbedürfnis; außerdem lägen auch die zu erwartenden Sekundäreffekte wie die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur im öffentlichen Interesse.
Die von den Klägern hilfsweise gestellten Anträge auf verbesserten Lärmschutz hatten hingegen teilweise Erfolg. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht die angeordneten Maßnahmen des passiven Lärmschutzes unbeanstandet gelassen. Das auf Forschungen des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) beruhende Schutzkonzept des Planfeststellungsbeschlusses gewähre sogar mehr Schutz als bislang übliche Konzepte. Die Planfeststellungsbehörde sei aber fehlerhaft davon ausgegangen, dass die Anordnung passiven Schallschutzes ausreiche, um den vom Luftverkehrsgesetz vorgeschriebenen besonderen Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem nächtlichem Fluglärm Rechnung zu tragen. Gerade weil den Anwohnern des Flughafens durch die nächtlichen Frachtflüge im öffentlichen Interesse eine erhebliche Lärmbelästigung zugemutet werde, habe Anlass bestanden zu prüfen, ob wenigstens der sonstige, nicht zwingend auf die Nachtstunden angewiesene Flugbetrieb (Passagierverkehr und nicht eilige Frachtflüge) unterbleiben müsse. Insbesondere in der sog. Kernzeit der Nacht (00:00 Uhr bis 05:00 Uhr) seien derartige Flüge nur unter besonderen Voraussetzungen zulässig. Das Regierungspräsidium wird nunmehr die unterbliebene Prüfung anstellen und dabei die vom Gericht vorgegebenen Maßstäbe beachten müssen.
BVerwG 4 A 2001.06 – Urteil vom 9. November 2006
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