Das Oberverwaltungsgericht Schleswig hat mit einem Beschluss vom 18. Juli den geplanten Ausbau des Flughafens Lübeck gestoppt. Damit gab das Gericht den Eilanträgen von BUND und NABU gegen den Planfeststellungsbeschluss statt. Nach Auffassung des Gerichts hat der Planfeststellungsbeschluss vom 20. 01. 2005 "offenkundig gravierende Mängel". Die Argumente der Kläger seien so schwerwiegend, dass die Klage auch in der Hauptsache Erfolg haben würde. Bis zur endgültigen Entscheidung des Gerichts darf nicht mit Bauarbeiten begonnen werden.
Der Plan sieht eine Verlängerung der Start- und Landebahn um 224m in Richtung Osten und einige zugehörige Baumaßnahmen, wie Rollwege und Navigationseinrichtungen vor. Im Osten des Flughafens befindet sich jedoch das Naturschutzgebiet "Grönauer Heide", etwa 20 ha würden durch den Ausbau zerstört.
Das OVG Schleswig ist der Ansicht, der Planfeststellungsbeschluss verstoße gegen die europäische Vogelschutzrichtlinie. Das Gebiet um den Flughafen sei von "überragender Bedeutung als Revier- und Brutstandort dort zahlreich vorhandener geschützter Vogelarten". Die für die Startbahnverlängerung benötigten Flächen seien "geradezu rasiermesserscharf" aus dem Schutzgebiet herausgeschnitten worden, bemängelten die Richter. Dabei seien nur die Verkehrsbedürfnisse , nicht aber die naturschutzrechtlichen Sachkriterien berücksichtigt worden. Solche Mängel führten zur Rechtswidrigkeit der gesamten Planungsentscheidung. Das OVG kritisierte weiterhin, dass schon der bestehende Flughafen mit Abfertigungsanlagen, Hangars und Rollwegen ohne Genehmigung entstanden und damit keine Rechtsgrundlage habe.
Der Baustopp kam offenbar überraschend und ist höchst ärgerlich für Flughafenbetreiber, Stadt Lübeck und Landesregierung, die den Ausbau treiben. Der Flughafen soll nämlich für 13 Millionen an den neuseeländischen Privatinvestor Infratil verkauft werden ( -> Pressemitteilung zum Vertragsabschluss ). Im November, nach dem Ausbau, wollte Ryanair dann ein Drehkreuz in Lübeck einrichten. Mit vier weiteren Flugzeugen sollten dann 13 Ziele in Europa angeflogen werden, auch etliche Nachtflüge waren geplant. Der Investor würde auch für dieses Jahr das Defizit des Flughafens (2,5 Mio. Euro im Jahr) übernehmen, was die Stadt Lübeck natürlich sehr gefreut hätte. Das Flughafengeschäft wird jedoch nur dann wirksam, wenn bis zum 30. September alle juristischen Fragen des Ausbaus geklärt sind - daraus wird jetzt nichts mehr. Der Investor will zwar im Moment noch nicht abspringen, wird aber nur kaufen, wenn auch ausgebaut werden kann. Ryanair will die vier vorgesehenen Flugzeuge erst einmal woanders einsetzen.
Erste Reaktionen: Zwischen Katastrophenstimmung und Freude
Und so brach bei der Landesregierung (schwarz-rote Koalition) und den Stadtvätern in Lübeck nach dem Urteil die nackte Panik aus, überall wurden Schuldige gesucht. Wirtschaftssenator Wolfgang Halbedel (CDU) nannte das Urteil "die größte Katastrophe in meiner politischen Laufbahn". Der Hansestadt und der ganzen Region werde schlagartig "historisch einmalige Chance auf Hunderte oder Tausende neuer Arbeitsplätze" genommen. Auch der SPD-Fraktionschef Reinhardt sprach von einer "mittleren Katastrophe" und äußerte Zweifel an der Kompetenz der Richter. Der CDU-Fraktionsvorsitzende warf der Genehmigungsbehörde, dem Landesbetrieb für Straßenbau und Verkehr, mangelnde Sorgfalt beim Verfahren vor (damit dürfte er nicht einmal Unrecht haben). Der Lübecker Bürgermeister Saxe sieht in dem OVG-Beschluss eine "Spätfolge des unseligen Wirkens der Grünen, als sie noch in der Landesregierung waren und alles daran gesetzt haben, den Ausbau zu verhindern". Es sei unverständlich, dass das OVG einseitig zu Gunsten des Naturschutzes und zu Lasten der Arbeitsplätze entschieden habe, so Saxe. Die IHK beschwerte sich, "das Netz der Umweltgesetzgebung sei inzwischen so eng geworden, dass der Wirtschaft oft die erforderliche Luft zum Atmen fehle". Im vorliegenden Fall bestehe nun die Gefahr, dass wirtschaftliche Interessen einer ganzen Region auf dem Altar des Naturschutzes geopfert würden. Und der Förderverein "Check-In" sprach von einem "Todesurteil für bis zu 2000 Jobs in der Region".
Große Freude herrscht dagegen bei den Gegnern des Ausbaus über das Urteil. Die Kläger sind zufrieden, dass das Gericht ihre Argumentation fast voll aufgegriffen hat. "Der Versuch, unter dem Vorwand angeblich nötiger Sicherheitszuwächse Blankensee zu einem internationalen Großflughafen aufzurüsten, ist vorläufig gescheitert. Tricksereien und Täuschungsmanöver werden sich nicht durchsetzen", sagte die Landesvorsitzende des BUND, Macht-Baumgarten. Der Grönauer Bürgermeister Weißkichel sagte, der Flughafen habe sich vom Gericht "einen Fingerzeig erhofft, jetzt hat er eine Faust voll aufs Auge bekommen". Die Grünen äußerten sich befriedigt, dass "die scheibchenweise Erweiterung des Flughafens hat ein Ende gefunden" habe. Naturschutz dürfe nicht nur dort stattfinden darf, wo er Geldinteressen nicht im Weg sei.
Was passiert jetzt?
Mittlerweile haben sich die Politiker wieder aufgerappelt und bemühen sich, den Ausbau doch noch zu retten. Eine Woche nach dem Urteil hat sich die Landesregierung Schleswig-Holstein für ein neues Planfeststellungsverfahren entschieden, bei dem eine neue Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden und auch der Ist-Zustand am Flughafen planfestgestellt werden soll. Man werde alles daran setzen, dass der Flughafen Lübeck ausgebaut werden kann, sagte der Wirtschaftsminister, und gab Fehler im bisherigen Verfahren indirekt zu. Ein neuer Planfeststellungsbeschluss soll in einem Jahr fertig sein, hofft die Landesregierung. Was man nun genau besser machen will, wurde allerdings nicht gesagt. Eine Startbahnverlängerung in die andere Richtung steht nach wie vor nicht zur Debatte, weil er zu teuer würde. Im Westen des Flughafens müsste ein Straße in den Tunnel verlegt werden. BUND und NABU begrüßen ein neues Planfeststellungsverfahren, sie hoffen dabei auf eine bessere Berücksichtigung des Naturschutzes.
Das Urteil von Lübeck - ein Grund zur Hoffnung?
Auf jeden Fall ist es ermutigend, dass nicht alle Gerichte den Naturschutz hinter wirtschaftliche Interessen zurückstellen. Auch in Lübeck wird der Ausbau des Flughafens vor allem mit dem Arbeitsplatzargument verkauft, offenbar recht erfolgreich, denn die Arbeitslosigkeit in der Region Lübeck ist sehr hoch. Wie an vielen anderen Regionalflughäfen hofft man auf ein Wirtschaftswunder durch den Billigflug-Boom. 1200, 2000 oder "Tausende" Arbeitsplätze versprechen die Politiker sich und der Bevölkerung durch die Startbahnverlängerung in Lübeck. Doch wo diese Menge Arbeitsplätze herkommen soll, ist völlig unklar. Am Flughafen selbst könnten durch das Ryanair-Drehkreuz nach Schätzungen etwa 200 Arbeitsplätze entstehen (nicht notwendig Vollzeit-Arbeitsplätze), zur Zeit sind es etwa 70. Dass auf jeden neuen Arbeitsplatz am Flughafen aber 10 neue Arbeitsplätze außerhalb entstehen sollen, wäre schon ziemlich einmalig. Ganze Heerscharen von Touristen müssten dann über den Flughafen in Lübeck einfallen und einen großen Wirtschaftsaufschwung verursachen. Doch derlei Wunder sind eher unwahrscheinlich.
Hätten die Ausbaustrategen in Lübeck ihre Hausaufgaben ordentlich gemacht und eventuelle Ausbaupläne in Einklang mit dem Naturschutzrecht und auch unter Einbeziehung der Interessen der vom Lärm und zusätzlichen Nachtflügen betroffenen Ortschaften gemacht, hätten sie die Bauchlandung vermeiden können, die jetzt passiert ist. Ob die Politiker wirklich aus der Schlappe gelernt haben oder jetzt die nach dem ehemaligen hessischen Wirtschaftsminister benannte "Methode Posch" - was nicht passt, wird passend gemacht - anwenden wollen, wird die Zukunft zeigen.
Mehr:
- Beschluss des OVG Schleswig zum Flughafen Lübeck
(vom BUND Schleswig-Holstein) - Planfeststellungsbeschluss Flughafen Lübeck-Blankensee
(Achtung, 2 MB) - Atempause für die Grönauer Heide
Pressemitteilung von BUND und NABU zum Urteil
Gerichtsurteile Klage (vor Gericht) Naturschutzgebiet Oberverwaltungsgerichte Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau des Frankfurter Flughafens Ryanair DAC