Stellungnahme der Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF) und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Fluglärmkommissionen (ADF) zum "Entwurf einer Dritten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm (Fluglärm Außenwohnbereichsentschädigungs-Verordnung - 3. FlugLSV)"
I. Vorbemerkung
Wir begrüßen, dass mit dem Entwurf der 3. Fluglärmschutz-Verordnung eine Grundlage für Ansprüche auf Außenwohnbereichs-Entschädigung geschaffen wird. Positiv hervorzuheben ist, dass auch schutzbedürftige Einrichtungen in den Anwendungsbereich der Verordnung einbezogen werden sollen. Bisher noch völlig unzureichend geregelt ist die Höhe der einzelnen Entschädigungsansprüche. Darüber sollte die Einbuße an Wohn- und Lebensqualität in Form von regelmäßig wiederkehrenden Leistungen und nicht durch Einmalzahlungen entschädigt werden.
Der Verordnungs-Entwurf macht gravierende Mängel des zugrunde liegenden Fluglärmschutzgesetzes deutlich erkennbar. Unzureichend ist danach, dass von der Außenwohnbereichs-Entschädigung lediglich ausgebaute oder wesentlich geänderte Flughäfen, nicht jedoch Bestandsflughäfen, erfasst werden. Darüber ist der Anspruchsbereich auf die Tagschutzzone 1 beschränkt und damit zu eng gefasst; der Gesetzgeber selbst erkennt ein Schutzbedürfnis auch in Tagschutzzone 2 mit der Folge von Bauverboten. Dies muss auch für Entschädigungsansprüche gelten. Schließlich ist die Frist für die Entstehung der Ansprüche auf Außenwohnbereichs-Entschädigung bei Dauerschallpegeln von unter 65 dB(A) mit Beginn des 6. Jahres nach Festsetzung des Lärmschutzbereichs viel zu lang. Wie sich bereits bei der Umsetzung der Ansprüche auf passiven Schallschutz nach der 2. Fluglärmschutz-Verordnung zeigte, entsteht der Fluglärm mit dem ersten Tag nach Inbetriebnahme einer neuen Start- oder Landebahn. Das eklatante Schutzdefizit, welches durch die verspätete Anspruchsentstehung entstand, führte am größten deutschen Flughafen in Frankfurt am Main zu einem „freiwilligen“ Nachbessern durch sofortige Zahlungen von passivem Schallschutz. Entsprechend dieser Erfahrungen sollte die Entstehung aller Ansprüche nach der 3. Fluglärmschutz-Verordnung unmittelbar mit Festsetzung des Lärmschutzbereichs bzw. der Isophonen-Bänder erfolgen.
Losgelöst von den Einzelheiten über den Umfang und das Verfahren der Außenwohnbereichs-Entschädigung weisen wir vorab darauf hin, dass die Entschädigung nicht von der Pflicht zur Ermittlung und Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden aktiven Schallschutzmaßnahmen entbindet. Die Außenwohnbereichs-Entschädigung stellt lediglich das letzte Mittel dar, um aktuelle Nutzungsbeeinträchtigungen zu entschädigen. Sie darf jedoch nicht in dem Sinne gewertet werden, dass durch die Entschädigungszahlungen ein besonderes Fluglärmgebiet im Sinne eines Vorranggebietes erkannt wird, in welchem Flugbewegungen gebündelt werden können, um an anderen Stellen Fluglärm zu vermeiden.
II. Hinweise zum Verordnungs-Entwurf
1. Entschädigungshöhe
Pauschale
Wir begrüßen grundsätzlich, dass Pauschalbeträge als Entschädigung vorgesehen sind, um hierdurch eine schnelle und einfache Abwicklung des Verfahrens für die Bürgerinnen und Bürger zu ermöglichen. Die Höhe der Pauschalbeträge ist u. E. jedoch als unzureichend anzusehen.
Mit § 4 des Entwurfs werden zwei sog. Isophonen-Bänder, bzgl. derer bei der Höhe der Entschädigung differenziert wird, festgelegt. Bei einem Dauerschallpegel von über 65 dB(A) werden Immobilien dem Isophonen-Band 1 und damit dem strengeren Entschädigungsanspruch zugeordnet. Dieser dB(A)-Wert ist viel zu hoch angesetzt. Selbst am größten deutschen Flughafen in Frankfurt am Main wird der geforderte Dauerschallpegel von über 65 dB(A) nur in wenigen Fällen erreicht. An anderen Flughäfen fällt die Bilanz noch geringer aus. Das strengere Isophonen-Band mit Einzelansprüchen von 5.000 Euro für ein Einfamilienhaus führt damit faktisch ins Leere. Sofern Grundstücke überhaupt einen Anspruch auf Außenwohnbereichs-Entschädigung haben, kommt damit nur die geringere Entschädigungspauschale von 3.700 Euro (Einfamilienhaus) zur praktischen Anwendung. Am Flughafen Berlin-Brandenburg wurde deshalb bereits im Planergänzungsbeschluss vom 20.10.2009 die Grenze für die erhöhte Pauschale auf 62 dB(A) Dauerschallpegel festgelegt. Die Außenwohnbereichsentschädigung liegt damit aktuell am Flughafen BER höher als nach dem vorliegenden Entwurf. Es wird daher angeregt, bei der Entstehung von Ansprüchen innerhalb der Tagschutzzone 1 keine weitere Unterscheidung in Isophonen-Bänder vorzunehmen, zumindest jedoch nicht hinter dem erkannten Entschädigungsniveau am Flughafen BER zurückzubleiben.
Unabhängig davon ist auch die absolute Höhe der Pauschalentschädigungen als zu gering einzuordnen. Nach der Begründung der Verordnung wurde bei der Beurteilung der Pauschalwerte von einem allgemeinen Verkehrswert für ein Einfamilienhaus von 250.000 Euro, ein Zweifamilienhaus von 300.000 Euro und für Wohnungen von 100.000 Euro ausgegangen. Die angesetzten Pauschalen entsprechen ohne jeden Inflationsausgleich, bzw. ohne Berücksichtigung der Wertentwicklung in den letzten Jahren, den Werten, die in der AG Kostenschätzung angesetzt wurden. Insbesondere in Ballungsräumen ist es einige Jahre später jedoch nahezu ausgeschlossen, selbst im Durchschnitt so niedrige Verkehrswerte anzusetzen. Die Beurteilungsgrundlage für die Bemessung der Pauschalwerte sollte deshalb deutlich angehoben werden.
Schließlich bleibt auch der Ansatz von 1,48 Prozent des Verkehrswertes der Immobilie im Isophonen-Band 2 (bzw. 2 Prozent im Isophonen-Band 1) hinter den berechtigten Entschädigungserwartungen der Anwohner aufgrund der Einbußen an Lebens- und Wohnqualität zurück. Mit dem Entwurf zu einem Schallschutzkonzept für gewerbliche Einrichtungen, welchen das Hessische Wirtschafts- und Verkehrsministerium aufgrund der Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts aktuell erarbeitet, soll sogar für gewerbliche Grundstücke eine Außenbereichsentschädigung von 2 Prozent des gesamten Verkehrswertes festgesetzt werden. Da die Nutzungsbeeinträchtigung durch Beschränkung des Außenbereichs bei Wohnimmobilien noch viel deutlicher ausfällt als bei Gewerbeimmobilien, muss der Entschädigungsanspruch für Wohnimmobilien deutlich höher als 2 Prozent des Verkehrswertes ausfallen.
Das Ziel, das mit den Pauschalen verfolgt wird, nämlich einen geringeren Verwaltungsaufwand zu verursachen, wird mit den sehr niedrig angesetzten Verkehrswerten zudem ins Gegenteil verkehrt, da viele Betroffene von der Möglichkeit nach § 6 des Entwurfs Gebrauch machen werden. Dies führt nicht nur zu einem erheblich höheren Verwaltungsaufwand, sondern auch zu erheblich höheren Kosten, da jeweils im Einzelfall ein Verkehrswertgutachten vorgelegt werden muss.
Entschädigung nach dem Verkehrswert
Wie zuvor dargestellt, entspricht die bisher festgelegte Höhe von 1,48 Prozent des Verkehrswertes nicht einer angemessenen Entschädigung für die Einbußen der Lebens- und Wohnqualität aufgrund der eingeschränkten Nutzbarkeit des Außenwohnbereichs.
Bei Geltendmachung eines höheren Verkehrswertes als im Pauschalbetrag zugrunde gelegt, darf zudem. als Stichtag nicht auf die Geltendmachung des Anspruchs abgestellt werden. Im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 23.02.2010 zu Entschädigungszahlungen am Flughafen Berlin-Brandenburg muss der Stichtag vielmehr auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Planungsgrundlagen vorverlegt werden, da bereits ab diesem Zeitpunkt eine Wertminderung der Immobilie eintrat und diese nicht noch zusätzlich den Entschädigungsanspruch reduzieren darf.
Überdacht werden sollte darüber hinaus, ob die Kosten für die Mitteilung des Gutachterausschusses zum Verkehrswert nur dann vom Flugplatzhalter getragen werden müssen, wenn der Nachweis auch tatsächlich eine höhere Entschädigung als nach § 5 ergibt. Nach unserer Auffassung sollten die Ermittlungskosten des Verkehrswertes entsprechend des Verursacherprinzips vollumfänglich vom Flugplatzhalter getragen werden.
Festsetzung der Isophonen-Bänder
Bei der Festsetzung der Isophonen-Bänder 1 und 2 bleibt unklar, ob diese mit oder ergänzend zu der Festsetzung des Lärmschutzbereichs oder auf andere Art und Weise festgelegt werden sollen. Eine Klarstellung wäre insoweit wünschenswert.
Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass in § 9 Abs. 5 Satz 2 Fluglärmschutzgesetz der Anspruch auf Außenwohnbereichsentschädigung bei Werten über 65 dB(A) mit Festsetzung des Lärmschutzbereichs bzw. bei Werten unter 65 dB(A) mit Beginn des sechsten Jahres nach Festsetzung des Lärmschutzbereichs entsteht und der Anspruch nach § 9 Abs. 7 Satz 2 Fluglärmschutzgesetz nur innerhalb einer Frist von fünf Jahren nach Entstehung geltend gemacht werden kann. Ist der Lärmschutzbereich schon festgesetzt, ohne dass dieser die Isophonen-Bänder nach § 4 des Entwurfs enthält, ist zumindest klarzustellen, welches der maßgebliche Zeitpunkt für den Beginn der jeweiligen Frist ist. In einem solchen Fall wäre es konsequent, dass dann auch die entsprechenden Ansprüche nicht verjähren, bzw. Sorge dafür zu tragen, dass die Isophonen-Bänder für die Entstehung der Ansprüche unmittelbar nach Verabschiedung der 3. Fluglärmschutz-Verordnung umgesetzt werden.
Zuordnung der Grundstücke
Nach § 4 Abs. 3 des Entwurfs werden bauliche Anlagen, die in zwei Isophonen-Bändern liegen, dem Isophonen-Band 1 zugeordnet. Da die Verordnung die Entschädigung des Außenwohnbereichs regelt, sollte u. E. bei der Betrachtung der Fluglärmbelastung von Grundstücken auch die Lage des Grundstücks selbst und nicht die Lage der baulichen Anlage berücksichtigt werden. Die Lage der Grundstücke lässt sich mit Hilfe digitaler Flurkarten genau bestimmen. Auf der Grundlage einer Überlagerung der Flurkarten mit den berechneten Isophonen-Bändern ist auch für die Betroffenen die Anspruchsentstehung leichter nachvollziehbar. Aufgrund der größeren Praktikabilität wird dieser Ansatz auch beim Schallschutzprogramm am Flughafen BER aktuell umgesetzt.
Reduzierung der Entschädigung
Nach § 7 des Entwurfs wird die Entschädigung um die Hälfte reduziert, wenn der Flugplatzhalter nachweist, dass eine nichtfluglärmbedingte Vorbelastung vorliegt, deren Dauerschallpegel um mehr als 6 dB(A) höher ist als der fluglärmbedingte Dauerschallpegel. Diese Regelung wird von uns abgelehnt, da nicht nachvollziehbar ist, aus welchem Grund Anwohnern, die durch verschiedene Lärmquellen belästigt werden, eine geringere Entschädigung zustehen sollte, als Anwohnern, die in weniger stark verlärmten Gebieten leben.
2. Mindestgröße
Nach § 3 Abs. 2 des Entwurfs werden Balkone und Vorgärten nicht vom Entschädigungsanspruch umfasst, wenn sie aufgrund ihrer Größe oder Beschaffenheit nicht für den regelmäßigen Aufenthalt geeignet sind. In der Begründung des Entwurfs wird weiter ausgeführt, dass es sich um solche Außenbereiche handelt, die aufgrund ihrer zu geringen Größe für eine Wohnnutzung im Freien von vornherein nicht in Frage kommen.
Auch kleinere Balkone und Vorgärten können jedoch zu Erholungszwecken genutzt und deshalb auch in ihrer Nutzbarkeit durch Fluglärm eingeschränkt werden. Auch im Hinblick auf den hohen Verwaltungsaufwand, der mit einer Beurteilung einer zu geringen Größe verbunden wäre, sollte deshalb auf eine Größenbeschränkung verzichtet werden.
3. Schutzbedürftige Einrichtungen
Positiv hervorzuheben ist, dass auch schutzbedürftige Einrichtungen in den Anwendungsbereich der Verordnung aufgenommen sind. Der bisherige Regelungsvorschlag wirft jedoch zu viele Fragen auf und sollte deshalb überarbeitet werden:
Nach § 9 sind die vorgenannten Regelungen bei schutzbedürftigen Einrichtungen entsprechend anzuwenden. Dabei sollen Art und Nutzung der schutzbedürftigen Einrichtung und des zugehörigen Außenbereichs bestimmen, inwieweit „eine Wohnnutzung im Freien“ vorliegt. Die Anwendung dieser Vorschrift erscheint unklar, da gerade in Kitas und Schulen der Freibereich und dessen Nutzung in der Regel wesentlicher Bestandteil des pädagogischen Konzepts darstellen. Der Außenbereich ist damit untrennbar mit dem Bildungsauftrag der jeweiligen Einrichtung verbunden und insofern mit einer Außenwohnbereichsnutzung von Wohnungen nicht direkt vergleichbar. Die Höhe der Außenwohnbereichsentschädigung für schutzbedürftige Einrichtungen denen für Wohnungen gleichzusetzen, halten wir deshalb nicht für praktikabel.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass schutzbedürftige Einrichtungen in der Regel über keinen echten Verkehrswert verfügen. Der Wert ist vielmehr immer verbunden mit der besonderen, häufig öffentlichen Zweckbestimmung der Nutzung, die sich zum Teil in entsprechenden Festsetzungen in Bebauungsplänen manifestiert. Schließlich können schutzbedürftige Einrichtungen zum Teil auch in Gewerbegebieten vorhanden sein, aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit sollte dies jedoch keine Halbierung des Entschädigungsanspruches zur Folge haben.
Nach alledem regen wir an, von vornherein eine Sonderregelung für schutzbedürftige Einrichtungen zu schaffen, die nicht lediglich auf § 5 und die dort enthaltenen Entschädigungspauschalen bei Wohnungen abstellt.
4. Dynamisierung
Die Verordnung sieht bisher lediglich die Zahlung eines Einmalbetrages als Entschädigung für die Einbußen an Lebens- und Wohnqualität bei Überschreiten bestimmter Fluglärm-Pegelwerte. Das Vorhandensein und die Nutzbarkeit von Balkonen, Terrassen und insbesondere eines Gartens ist jedoch ein zentraler Aspekt, der den Wert oder die Vermietbarkeit sowie die Miethöhe von Wohnimmobilien maßgeblich und dauerhaft bestimmt. Insofern greift der Entwurf unseres Erachtens zu kurz, indem er eine nur einmalige Entschädigung vorsieht und diese nicht nachhaltig anlegt. Die Entschädigungszahlungen sollten daher als regelmäßig (z. B. jährlich) wiederkehrende Zahlungen vorgesehen werden.
BVF Fluglärmgesetz Bundes-Politik (Deutschland) Arbeitsgemeinschaft Deutscher Fluglärmkommissionen (ADF)