Pressemitteilung der IGF vom 08.12.2014
Am 21. Oktober 2011 wurde die neue Landebahn Nordwest des Frankfurter Flughafens in Betrieb genommen. Grund genug für den Vorstand der Interessengemeinschaft zur Bekämpfung des Fluglärms (IGF) zum Jahresende 2014 eine kritische Zwischenbilanz zu ziehen.
Zu der seit über 30 Jahren ansteigenden Bedrohung durch Schadstoffe, Fluglärm, Boden- und Rolllärm mit Inbetriebnahme der Startbahn-18-West sind mit der Nutzung der neuen Landebahn Nordwest weitere Belastungen auf die Menschen im Süden des Frankfurter Flughafens hinzugekommen:
- die Zahl der Abflüge von der Startbahn 18 West ist noch mehr angestiegen,
- die in Etappen bis 2016 vorgesehene vollständige Belegung der neuen Anflugroute für die Südüber/umfliegung über Rüsselsheim, Bischofsheim, Ginsheim-Gustavsburg, Trebur, Nauheim und Gross-Gerau wurde bereits im Jahr 2013 erreicht,
- ebenfalls ab diesem Zeitpunkt wurde ausschließlich auf der Startbahn-18-West das Flachstartverfahren erprobt, was nun seit fast 1 ½ Jahren zum Dauerzustand geworden ist.
- bevor in Flörsheim am Main zwischen 2012 und 2014 ca. 25 Wirbelschleppenvorfälle registriert wurden, hat es schon vor der Inbetriebnahme der LBNW über 60 dieser Ereignisse in Raunheim gegeben. Nachdem von der Fraport AG zur Planfeststellung vorgelegten Gutachten, werde ein Wirbelschleppenvorfall nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 Mal alle 10 Millionen Jahre vorkommen.
Die Realität ist schneller und brutaler eingetreten wie die Wahrscheinlichkeitsprognose des Fraport-Gutachters. - Berliner Straße, (Landkreis Gross-Gerau) seitlich neben der Abfluglinie der StBW eine auffällige Häufung von Brustkrebserkrankungen bei Frauen bekannt, so wie sie Prof. Dr. Eberhardt Greiser in seiner Gesundheits- und Fluglärmstudie im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) schon 2011 ermittelt hatte.
Weitere Häufungen von Brustkrebserkrankungen sind in Darmstadt-Wixhausen (Landkreis Darmstadt) bekannt geworden, ebenfalls unter einer Abflugroute (Bad König) der Startbahn-18-West und in Hattersheim am Main (Main-Taunus-Kreis).
Die IGF hatte dazu gemeinsam mit dem Umweltamt der Stadt Mörfelden-Walldorf ein eigenes Biomonitoring auf den Weg gebracht und die Landesregierung veranlasst, durch die Hessische Landesanstalt für Umwelt und Geologie (HLUG) weitere Messungen der Luftschadstoffe im Gemarkungsbereich von Mörfelden durchzuführen. Die Ergebnisse dieser Messungen liegen erst Mitte nächsten Jahres vor. - Der Ausbau des Frankfurter Flughafens ist noch lange nicht abgeschlossen, sondern der bereits begonnene „Ausbau Süd“: Erweiterung der A 380-Werft, Erweiterung der Infrastrukturmaßnahmen für Cargo-City Süd, Bau des Terminals 3, neue Autobahnabfahrt, neue Bahnanbindung des T 3 für die S 7 von Frankfurt nach Mannheim markieren erst am Anfang einer neuen Ausbauphase hin zur Airport-City Frankfurt.
Analysiert wurde auf der IGF-Vorstandssitzung auch die politische Situation in Hessen und im Bund nach dem Wahlen am 22. September 2013: für die IGF sowie die über 60 im BBI zusammengeschlossenen Gruppen aus der Rhein-Main-Region, Mainz und Rheinhessen, dem Rheingau-Taunus, dem Main-Taunus, dem Vorder- und Hochtaunus, den Städten Wiesbaden, Frankfurt, Offenbach, Darmstadt und Hanau, dem Main-Kinzig-Kreis und dem bayerischen Untermain stellt sich die Frage, wie soll es strategisch weitergehen, um unsere Forderungen umzusetzen.
Alle BBI-Gruppen haben zur Wahlbeteiligung erklärt: wir haben keine Wahl, wir wollen einen Politikwechsel erreichen!
Dieser Politikwechsel wurde weder bei der Bundes-, noch der Hessischen Landtagswahl 2013 erreicht.
Die Wahlergebnisse und die nach Koalitionsverhandlungen gewählten Bundes- und Landesregierungen stehen in ihrer Mehrheit für eine neoliberale, unsoziale und auf Wachstum und Förderung des Standortes Deutschland festgelegte Politik. Die Mehrheit der Wählerinnen hat dies durch ihre Stimmabgabe so gewollt, egal, ob uns dies nun gefällt oder nicht!
Da wir nicht im luftleeren Raum agieren, sondern von den vorhandenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialen und politischen Strukturen, die global, auf EU-, Bundes- und Landesebene bis hin zu den Kommunen gegen unsere Forderungen stehen, ausgehen müssen, sollten wir uns jetzt gemeinsam neu im weiteren Kampf gegen den Flughafenausbau in Frankfurt positionieren.
Der Vorstand gelangte mehrheitlich zu der Auffassung, dass eine kritischen Analyse unserer Erfolge und Fehler vorzunehmen ist, um auf dieser Basis ein neues strategisches Konzept für unsere kurz-, mittel- und langfristigen Ziele zu entwickeln.
Was sind unsere bisherigen Erfolge?
- Wir haben die Inbetriebnahme der Landebahn Nordwest, die für den Sommer 2006 vorgesehen war, um fünf Jahre hinausgezögert.
- Wir haben mit unseren vielfältigen und kreativen Ideen und Aktionen wie Camp und Mahnwache im Kelsterbacher Wald, Bürgerbegehren gegen den Waldverkauf der Stadt Kelsterbach an die Fraport AG, mit zahlreichen Protestaktion in der gesamten Rhein-Main-Region, z. B. einem Spaziergang mit 1.000 Teilnehmern in den zur Rodung vorgesehenen Bannwaldflächen des Treburer Oberwaldes für den neuen Anschluss des T 3 an die A 5 bei Neu-Isenburg/Zeppelinheim, mit 119 Montagsdemonstration und 30 Mahnwachen im Terminal 1 des Flughafens dafür gesorgt, dass die Lärmbelastungen der Menschen durch Flugverkehr immer stärker ins öffentliche Bewusstsein gehoben wurden.
- Unter diesen Voraussetzungen ist es uns nach über 30 Jahren gelungen, die Forderung nach einem Nachtflugverbot von 22.00 bis 6.00 Uhr für die Dauer von sechs Stunden (Betriebsbeschränkung) am internationalen HUB Frankfurt durchzusetzen.
Dieser Teilerfolg ist bei vielen Menschen an anderen Flughafenstandorten in Deutschland, Europa und Amerika ein bislang unerreichtes Ziel und daher Ansporn für viele, uns nachzueifern. - Zusätzlich ist es uns gemeinsam mit Bündnispartnern auf Bundesebene (BVF, BUND, ADF, DNR, Robin Wood, German Watch) gelungen, eine Änderung des Luftverkehrsgesetzes, welches die Rücknahme des Nachtflugverbots in Frankfurt vorsah, zu verhindern.
- Auch auf EU-Ebene waren wir gemeinsam mit anderen europäischen NGOs erfolgreich: die am 16. April 2014 vom EU-Parlament in Straßburg verabschiedete Verordnung über lärmbedingte Betriebsbeschränkungen kann das hier am Frankfurter Flughafen durchgesetzte sechsstündige Nachtflugverbot nicht mehr rückgängig machen.
- Es ist uns beim mehreren Themen, wie neue Arbeitsplätze, Wirbelschleppenvorfälle, Vogelschlagrisiken, fehlerhaften Verkehrs- , Kapazitäts-, Lärm- und Schadstoffprognosen gelungen, den immer noch nicht rechtskräftigen Planfeststellungsbeschluss in Frage zu stellen.
Diese Thematik muss von uns in Zukunft stärker in den Mittelpunkt unserer Aktivitäten gerückt werden, auch wenn Fraport-Chef Dr. Stefan Schulte und die hessische Landesregierung immer wieder erklären, am Planfeststellungsbeschluss für den Flughafenausbau vom Dezember 2007 sei nichts mehr zu rütteln.
Was steht für 2015 an?
Wir können uns auf den obengenannten Erfolgen nicht ausruhen, sondern sollten ganz deutlich aufzeigen, dass mit dem Ausbau des Frankfurter Flughafens nicht nur hohe Fluglärmbelastungen verbunden sind, sondern auch die Luftschadstoffe durch Flugbetrieb zu erheblichen Erkrankungen und dem Verlust von Lebensqualität für hundertausende Menschen im Flughafenumland führen werden.
Es hat sich als richtig erwiesen, dass sich die IGF und das BBI schon vor mehreren Jahren mit anderen ökologischen und sozialen Bewegungen zum Netzwerk Umwelt und Klima (NUK) Rhein-Main zusammengeschlossen und die Forderung nach einer Gesamtbelastungsstudie erhoben haben. Diese Forderung ist gegenüber der neuen hessischen Landesregierung zu konkretisieren. Diese beispielhafte Zusammenarbeit und Vernetzung mit anderen sozialen, ökologischen und demokratischen Bewegungen sollte fortentwickelt werden.
Für die Stärkung des internationalen Drehkreuzes (Terminal 3, Airport-City) wurden und sollen noch weitere Bannwälder gerodet, der Verlust an Naherholungsgebieten und Freizeitflächen in Kauf genommen, enorme Flächen versiegelt und das Kleinklima negativ beeinflusst werden.
Es drohen den Bürgern in der Rhein-Main-Region erhebliche soziale, wirtschaftliche und kulturelle Verwerfungen durch den geplanten Ausbau des Flughafens zur Airport-City Frankfurt.
Bereits jetzt gibt es einem gewissen Vorgeschmack. Fraport-Chef Dr. Stefan Schulte spricht nicht mehr vom internationalen Drehkreuz, sondern sieht den Frankfurter Flughafen als ein großes Shopping-Center mit Start- und Landebahnen. Dort könnten potente KäuferInnen aus aller Welt einkaufen, Wohlfühl-Events erleben und sich sogar medizinisch behandeln lassen, ohne den Flughafentransitbereich zu verlassen. Terminal 3 soll den Flughafen in einen Airport zum Wohlfühlen weiterentwickeln. Mit dem Bau vom T 3 soll im kommenden Jahr begonnen werden, zusätzlich wird der 2. Bauabschnitt der A 380-Werft auf dem Cargo-City-Süd erfolgen.
Die dadurch schon jetzt geminderte Lebens- und Umweltqualität in der Rhein-Main-Region soll für noch mehr Globalisierung, mehr Konkurrenzfähigkeit und die Profitwirtschaft der gesamten Luftverkehrswirtschaft geopfert werden.
Um dieser Entwicklung erfolgreich entgegenzuwirken, sollten in den Gruppen der Flughafenausbaugegner und Fluglärmbetroffenen die folgenden Fragen geklärt werden:
- Wie zeigen wir zukünftig noch deutlicher auf, dass mit der Flughafenerweiterung zahlreiche gesellschaftlich negative Entwicklungen verbunden sind, die den Interessen und Bedürfnissen der Anwohnerinnen zuwiderlaufen?
- Wie und mit welchen gesellschaftlichen Kräften und Gruppen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene wollen wir uns vernetzen und was können wir dadurch gemeinsam erreichen?
- Welches sind geeignete Aktions- und Protestformen, um für unsere Ziele zu werben und breite gesellschaftliche Zustimmung und Unterstützung zu erhalten?
Mit welchen Themen zum Flughafenausbau in Frankfurt haben wir uns im neuen Jahr auseinanderzusetzen:
- Welche Konsequenzen hinsichtlich vom mehr Schutz vor Fluglärm folgen aus den Ergebnissen der Kinder-NORAH-Studie?
- Was tut die Hessische Landesregierung in Zusammenarbeit mit der Stadt Frankfurt (Konsortialvertrag) zur kritischen Bedarfsprüfung für das Terminal 3? Wann ist mit konkreten Ergebnissen zu rechnen?
- Können die vom hessischen Verkehrsministerium vorgelegten 5 Modelle für Lärmpausen tatsächlich zu einer Fluglärmminderung in der Rhein-Main-Region führen? Zum Sommerflugplan Ende März/Anfang April 2015 soll eines der Lärmpausenmodelle beispielhaft für ein Jahr bis zum Frühjahr 2016 erprobt werden.
- Wird es neue Bundesratsinitiativen der Hessischen Landesregierung z. B. gemeinsam mit Rheinland-Pfalz, für ein neues Luftverkehrsgesetz und ein neues Fluglärmschutzgesetz mit Betriebsbeschränkungen, Nachtflugverboten, Lärmobergrenzen und Umweltabgaben auf Lärm und Luftschadstoffe geben?
- Was ist auf der Hessischen Landesebene vorgesehen, um eine Lärmobergrenze rechtsverbindlich einzuführen? Eine Lärmobergrenze erlangt nur dann Bestandskraft, wenn sie bis Mitte 2016 erlassen wird. Sonst kann die EU-Kommission auf Grundlage der im April 2014 verabschiedeten Verordnung über betriebsbedingte Lärmbeschränkungen die von Hessen erlassenen Lärmobergrenze wieder aufheben.
- Wie geht es weiter in Sachen Südüber/-umfliegung? Was passiert nach der Entscheidung des BVG über die Beschwerde der BAF hinsichtlich einer Neuregelung der Flugroute oder bleibt alles beim Alten?
- Im Herbst bzw. Winter 2015 wird die komplette NORAH-Studie zu Schall und Lärm (Lärmwirkungsstudie), zu Lebensqualität, Krankheitsrisiken, Schlaf- und Blutdruckstudie veröffentlicht werden.
Die NORAH-Kinderstudie, die auf politischen Druck der ZRM durchgeführt wurde, ist bereits Anfang November 2014 veröffentlicht worden. Welche Schritte zu einer weitergehenden Fluglärmreduzierung sind von der hessische Landesregierung vorgesehen? - Weitere Themen sind: Wirbelschleppenrisiken, Vogelschlag, Absturz- und Sicherheitsgefahren, Luftschadstoffe, Subventionierung des Luftverkehrs und der Flughäfen, Gesamtbelastungsstudie für die Rhein-Main-Region und neue Freihandels- und Liberalisierungsabkommen auf internationaler Ebene.
Der Vorstand der IGF wird auf Grundlage dieser Einschätzung seine Mitglieder und alle interessierten Bürger in der Flughafenregion zu neuem Engagement gegen die Ausbaupläne des Frankfurter Flughafens sensibilisieren und mobilisieren. In enger Zusammenarbeit mit anderen Bürgerinitiativen, Umwelt-, Naturschutz-, und Lärmschutzgruppen wird sich die Interessengemeinschaft auch im 50. Jahr ihres Bestehens mit vielfältigen und kreativen Aktionen am Protest gegen die Expansionspläne der Fraport AG beteiligen. Nur durch ein umfassendes bürgerschaftliches Engagement kann gesellschaftlicher Druck entstehen, der die Lebens- und Umweltqualität in der Rhein-Main-Region wiederherstellt.
Dirk Treber
Vorsitzender der Interessengemeinschaft zur Bekämpfung des Fluglärms (IGF)