Pressemitteilung der Evangelischen Kirchengemeinde Flörsheim am Main vom 23. März 2013
Seit der Inbetriebnahme der neuen Landebahn Nordwest wird der Friedhof in Flörsheim von landenden Flugzeugen in Höhe von rund 240m überflogen. Der Lärm der Flugzeuge ist ohrenbetäubend. Das Dröhnen und der Anblick der gewaltigen Maschinen, die über die Köpfe einer Trauergemeinde am offenen Grab hinwegziehen, zerstören jeden Ritus. Nicht selten erreicht eine Wirbelschleppe auf dem Friedhof den Boden und entfaltet die Wirkungen einer diabolischen Erscheinung: tiefer Donner, gebeutelte Büsche und umherfliegende Blätter und andere Gegenstände. Dann ist der Reflex, vom Friedhof zu flüchten, nur noch schwer zu unterdrücken. Der Bestattungsritus am offenen Grab ist ein wichtiger Teil der Ausübung der Religion, die sich in schweren Stunden für die Trauernden bewähren muss. Unter tiefen Überflügen ist er buchstäblich unmöglich.
Damit ist jedoch nur die Spitze des Eisberges benannt. Tatsächlich unterminiert der Fluglärm in Flörsheim auch zahllose andere religiöse Lebenselemente. Das gilt für den Gottesdienst sowie die Abendmahlsfeier im Altenheim, für Taufe und Konfirmation und schließlich auch für das Gebet des Einzelnen, denn: Das Gespräch mit Gott bedarf der Stille.
Die gläubigen Menschen in Flörsheim leiden unter dem Fluglärm. Unter dem Eindruck dieses Leidens, gestützt auf eine ermutigende Resolution der Frühjahrssynode der EKHN 2012 und auf der Basis seiner bereits früher öffentlich erklärten Entschlossenheit, das Grundrecht der ungestörten Religionsausübung nach Art. 4 GG juristisch geltend zu machen, hat der Kirchenvorstand der Evangelischen Kirchengemeinde Flörsheim am Main am 16.03.2013 beschlossen, einen ersten konkreten Schritt zur Aktivierung des Grundrechts auf ungestörte Religionsausübung (Art. 4 GG) einzuleiten. "Die Zeit ist gekommen, zu untersuchen, welche religiösen Werte und Inhalte im Einzelnen von diesem Grundrecht geschützt werden und ob und wie wir dann in verantwortlicher Weise dieses Grundrecht einfordern können. Diese Vorarbeiten will der Kirchenvorstand nun angehen!", erläutert Günter Battenfeld, Mitglied des Kirchenvorstands in Flörsheim.
Der beschlossene erste Schritt besteht darin, ein theologisches Gutachten zuwege zu bringen, das im Einzelnen ermittelt, welche spezifisch religiösen Lebensvollzüge durch den Fluglärm gestört werden und wie gravierend diese Störungen sind. Damit betritt der Kirchenvorstand Neuland. Denn noch nie sind die Schutzgüter der Religionsausübung in ihrer Verwundbarkeit durch Fluglärm beschrieben und analysiert worden.
Für die Formulierung des Gutachterauftrags, die Begleitung des Gutachters während seiner Arbeit und zur Prüfung der Ergebnisse hat der Kirchenvorstand einen "Begleitkreis Art. 4 GG" berufen, dem neben dem Flörsheimer Gemeindepfarrer Martin Hanauer die Pfarrer Wolfgang Drewello (früherer Mainzer Dekan) und Harald Jaensch (Mainz-Marienborn) sowie Dietrich Elsner (Koordinator der Bürgerinitiativen Mainz u. Rheinhessen) sowie RA Dr. Martin Schröder angehören. Ein Mitglied der EKHN-Synode ist angefragt und die Kirchenleitung der EKHN wird in dem Beschluss vom 16.03.2013 gebeten, ebenfalls einen Vertreter in den Begleitkreis zu entsenden.
Auf der Grundlage des angestrebten theologischen Gutachtens wird der Kirchenvorstand über seine nächsten Schritte entscheiden.
Hintergrundinformationen zum Beschluss des Flörsheimer Kirchenvorstandes, das Grundrecht der ungestörten Religionsausübung zu aktivieren aus Sicht der Bürgerinitiativen.
In den letzten Monaten drängten Bürgerinitiativen und betroffene Kommunen die Kirche, als Grundrechtsträger des Grundrechtes der ungestörten Religionsausübung Initiativen zu ergreifen und sich mit der Forderung der Geltendmachung von Artikel 4GG das Gewicht der anderen Grundrechte zu stärken. Alle signalisierten, wie enorm wichtig es ist, dass Kirche in den Fragen der Verwirklichung der Grundrechte bezüglich der Beeinträchtigung durch Fluglärm glaubhaft an der Seite der Betroffenen steht.
Obwohl in der EKHN-Herbst-Synode 2012 viele Zweifel an der Relevanz des Art. 4 GG laut wurden, sind nun in den letzten Wochen völlig überraschende Informationen ans Licht der Öffentlichkeit gelangt über eine bereits abgeschlossene Verhandlung von Brandenburger Kirchengemeinden zum Art. 4 GG vor dem Bundesverwaltungsgericht und einem erstaunlichen Vergleich, den Flughafen BER mit diesen Kirchengemeinden geschlossen hat, einschließlich Vereinbarungen zur Finanzierung von Lärmschutzmaßnahmen.
Die auf dem Tisch liegenden Fakten haben uns klargemacht, Art. 4 GG ist nicht nur aus unserer Sicht, sondern auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes und vor allem aus Sicht der Rechtsanwälte des Betreibers des Flughafens BER nicht nur für Extremfälle wie Kirchenzerstörung gedacht, sondern für Störungen der Religionsausübung aller Art. Das erfüllt nach unserer Überzeugung den begründeten Verdacht der Verletzung des Grundrechtes auf ungestörte Religionsausübung durch Fluglärm, der vom Flughafen Frankfurt ausgeht.
Mit dem Beschluss des Flörsheimer Kirchenvorstandes wird deutlich, dass die vorbereitende Phase eingeleitet wird, mit dem die durch Art. 4 GG geschützten Güter der ungestörten Religionsausübung und deren Verletzung durch die Fluglärmbelastung in der Flörsheimer Kirchengemeinde analysiert und definiert werden.
Der Kirchenvorstand hat mit seinem Geltendmachungs-/Aktivierungsbeschluss vom 16.3.2013 (siehe Anlage) zugleich die Entscheidung getroffen, dieses Gutachten in eigener Regie zu erstellen, mit zugesagter kirchlich geschwisterlicher Unterstützung von Kirchengemeinden und kirchlichen Gremien. Dieses wurde nötig, da die aus rechtlicher Sicht notwendige Beschreibung der Schutzgüter trotz intensiver Bemühungen der kirchlichen Basis nicht erfolgt war.
Erklärtermaßen steht das Evangelische Dekanat Mainz an der Seite der Flörsheimer Gemeinde und einer der renommiertesten Planungsrechtler der Bundesrepublik Deutschland, Rechtsanwalt Dr. Martin Schröder, ist bereit, diese Phase der Aktivierung als fachlich-rechtlicher Berater ehrenamtlich zu begleiten. Für den Begleiterkreis haben der frühere Mainzer Dekan Wolfgang Drewello, der Beauftragte des Ev. Dekanates Mainz für Fragen des Flughafenausbaus, Pfr. H. Jaensch, Koordinator der Bürgerinitiativen gegen Fluglärm in Mainz und Rheinhessen, Dietrich Elsner bereits zugesagt. Auch ein Mitglied der Kirchenleitung und eines synodalen Ausschusses ist gebeten, in diesem Begleitkreis mitzuarbeiten.
Bericht einer Betroffenen in Flörsheim
Mir sitzt die Angst jetzt noch im Nacken, es läuft mir noch immer die Gänsehaut über den Rücken und mein Herz schlägt mir bis zum Hals, wenn ich nur daran denke. Ich stand am Freitagabend den 01.03.2013 um 18:30 Uhr auf dem neuen Friedhof am Grab meines Mannes, als eine große zweistrahlige Maschine über mich flog - die Fluggesellschaft konnte ich nicht erkennen, weil man die Flugzeuge dort nur von unten sehen kann. Einige Augenblicke später brach ein nicht in Worte zu fassendes, ohrenbetäubendes Getöse um mich herum aus, mit lautem Geheule, schrillen Pfeiftönen und zwei aufeinander folgenden lauten Knallgeräuschen. Ich stand da wie gelähmt, konnte mich nicht mehr bewegen, hatte extremes Herzrasen und panische Angst und dann das Bedürfnis laut um Hilfe schreien zu müssen.
Wer kann es verantworten und nimmt sich das Recht heraus, Menschen solches Leid zuzufügen. Warum tritt man die Würde, die Gesundheit, das Recht jedes Menschen auf Unversehrtheit so mit den Füßen. Dies war kein Einzelfall. Ich habe das Gleiche schon öfters erlebt, nur so extrem wie an diesem Tag nicht und Gott sei Dank war ich auch nicht immer alleine. Ich bin ansonsten kein Angsthase und ging auch im Dunkeln noch auf den Friedhof. Jetzt nicht mehr.