Die neue schwarz-rote Bundesregierung unternimmt einen dritten Versuch zur Novellierung des Fluglärmgesetzes von 1971. Das Bundeskabinett verabschiedete am 1. Februar 2006 einen entsprechenden Entwurf, der offenbar schnell verabschiedet werden soll - auf jeden Fall vor dem Planfeststellungsbeschluss für den Frankfurter Flughafen.
Leider handelt es sich bei dem jetzt beschlossenen Entwurf - entgegen anders lautenden Darstellungen der Luftverkehrswirtschaft - nicht um den ursprünglichen Referentenentwurf aus dem zweiten Novellierungs-Anlauf im Jahr 2004, sondern um die von Verkehrsministerium und Luftverkehrslobby stark verwässerte Version vom 25. Mai 2005, die nach langen Kontroversen zwischen Umwelt- und Verkehrsministerium damals plötzlich als Kompromisslösung aufgetaucht war. Die vorgezogenen Neuwahlen verhinderten damals die weitere Behandlung dieses Gesetzentwurfes, worüber sehr viele Fluglärmgeschädigte gar nicht unglücklich waren. Motto: "Lieber keines als so eines".
Denn die Novelle bringt den Fluglärmbetroffenen keineswegs so viel besseren Schutz vor Fluglärm wie versprochen. Die Grenzwerte sind immer noch um 5 dB(A) zu hoch, die Berechnungsmethode für die Lärmzonen nachteilig für die Betroffenen. Aktive Schallschutzmaßnahmen oder Nachtflugbeschränkungen sind nicht vorgesehen. Den Flughafenbetreibern gibt die neue Regelung die gewünschte rechtliche Sicherheit über die von ihnen finanzierenden Lärmschutzmaßnahmen, ohne ihnen ernsthaft weh zu tun. Die zusätzlichen Aufwendungen für passive Schallschutzmaßnahmen, gestreckt über minestens 10 Jahre, sind für die großen Flughäfen aus der Portokasse zu bezahlen und können an die Luftverkehrsgesellschaften weitergegeben werden. Mit einem Aufschlag von 1 bis maximal 2 Euro pro Flugticket rechneten die Experten für den ursprünglichen Referentenenwurf von 2004 - und der wurde mittlerweile stark entschärft und somit billiger für die Flughäfen. Für bestehende Großflughäfen würde sich praktisch kaum etwas ändern - auch die neuen Grenzwerte sind noch so hoch, dass sie in der Praxis kaum überschritten werden. Teilweise würden die Lärmschutzzonen sogar kleiner. Nur bei künftigen Neubau- und Ausbauvorhaben würde es teurer.
Fraport müsste über dieses neue Fluglärmgesetz recht zufrieden sein - konnten sie doch die Ansichten "ihrer" Lärmwirkungsforscher (sogenannte "Viererbande") weitgehend durchsetzen. Insbesondere wurde die 100/100-Regel (getrennte Betrachtung beider Betriebsrichtungen) gestrichen, was einen signifikanten Teil aller nur bei Ostwind vom Fluglärm Betroffenen trotz verschäfter Grenzwerte ihren Anspruch auf Schallschutzmaßnahmen kosten dürfte und auch für den Westbetrieb die Schallschutzzonen verkleinert. Ein Fraport-Vertreter antwortete bereits Einwendern beim Erörterungstermin auf deren Kritik, der Gesetzgeber habe die Ansichten der Fraport zur Lärmberechnung bestätigt.
Die einzige Regelung, die teuer für Fraport geworden wäre - die Nachtgrenzwerte bei Änderung und Ausbau von 50 dB(A) Dauerschallpegel und einem Maximalkriterium von 6 x 53 dB(A) - wurde zeitlich verschoben, sie sollen erst ab 2010 gelten. Bis dahin sind noch 3 Dezibel mehr erlaubt. So können der Flughafenausbau in Frankfurt und andere absehbare große Ausbauvorhaben (z.B. in München) noch zu "Schnäppchenpreisen" für die Flughafenbetreiber durchgezogen werden.
Besondere Hoffnungen sollten sich die Anlieger des Frankfurter Flughafens wegen des neuen Fluglärmgesetzes also nicht machen. Akzeptable Regelungen bei einem eventuellen Ausbau des Flughafens, wie etwa das von den Kommunen vorgeschlagene Lärmschutzkonzept, können sie vergessen, denn die Planfeststellungsbehörde wird kaum meht Lärmschutz zugestehen als den im gesetz vorgeschriebenen. Selbst diejenigen, die nach einem Ausbau einen Anspruch auf Schallschutzfenster hätten, müssten mehr oder weniger lange warten. Die Maßnahmen gibt es nämlich nicht gleich mit der Festsetzung der Lärmschutzbereiche, sondern zeitlich gestaffelt. Wer den Grenzwert nur gerade eben überschreitet, muss bis zu 10 Jahre auf sein Schallschutzfenster warten. So kämen die Bewohner von Offenbach, die z.B. einen Dauerschallpegel von 61 dB(A) zu erwarten hätten, im Jahre 9 nach Inkrafttreten des Lärmschutzbereiches an die Reihe - also irgendwann zwischen 2016 und 2020. Nicht alle jetzt Betroffenen werden das noch erleben ...
Kommunen, die trotz Fluglärm neue Baugebiete ausweisen wollen, kommen beim Gesetzentwurf nicht so schlecht weg. Von den Bauverboten wurden etliche nahmen zugelassen.
Mehr zum Inhalt des geplanten Fluglärmgesetzes finden Sie zum Beispiel im Beitrag "Vorerst kein neues Fluglärmgesetz" vom 1.6.2005 (ist leider noch aktuell), von dort aus sind auch weitere Informationen zugreifbar.
- Vorerst kein neues Fluglärmgesetz (01.06.2006)
- Entwurf zum Fluglärmgesetz vom 25.05.2005
- Pressemitteilung des Bundesumweltministeriums zur Novelle
Erste Reaktionen
Bürgerinitiativen und Umweltverbände
Fluglärmbetroffene und ihre Vertreter bezeichneten den Gesetzentwurf übereinstimmend als unzureichend und nicht dem Stand der modernen Lärmwirkungsforschung entsprechend. Der BUND sprach von einer "Mogelpackung". Er lehnt die Aufweichungen des ursprünglichen Entwurfs im Interesse der Fraport strikt ab.
Die Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF) sieht erheblichen Nachbesserungsbedarf. In einem Brief an Minister Gabriel hat man die Kritik formuliert:
- BVF:So bleibt der Schutz vor Fluglärm auf der Strecke (PM vom 02.02.2006)
- BVF:BFV: Falsche Zahlen zur Novellierung des Fluglärmgesetzes (PM vom 06.02.2006)
- BVF: Novelle zum Fluglärmgesetz muss erheblich nachgebessert werden (PM vom 01.02.2006)
- Brief der BVF an Umweltminister Gabriel zur Novelle des Fluglärmgesetzes
Auch der DFLD hält das Gesetz nicht für brauchbar. Die Chance, die Menschen besser vor Fluglärm zu schützen, sei vertan worden.
Politiker
Die SPD setzte sich für den neuen Entwurf von Minister Gabriel ein. In einer Pressemitteilung nannte die SPD den Entwurf von Minister Gabriel "eine richtigen und überfälligen Schritt". Investitionen in einen effektiven Lärmschutz sei gut angelegtes Geld. Damit würden hunderttausende Bürger im Einzugsbereich der Flughäfen von Lärm entlastet.
Nach Ansicht der CDU ist dagegen durch den Gesetzentwurf "eine vernünftige Balance zwischen der Wettbewerbsfähigkeit der Flughäfen und den Bedürfnissen derjenigen, die sich durch Fluglärm beeinträchtigt fühlen", noch nicht gefunden. Die Grenzwerte zum Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm müssten so festgelegt werden, "dass der Lärmschutz für die Betroffenen verbessert und die wirtschaftliche Weiterentwicklung des Luftverkehrs ermöglicht wird". In welche Richtung der Gesetzentwurf "optimiert" werden soll, wird nicht gesagt, man kann es sich aber denken.
Die FDP kritisierte die Aufteilung der Flughafenanwohner in "Bürger erster, zweiter und dritter Klasse beim Lärmschutz", was wohl heißen soll, dass unterschiedliche Regelungen für alte und neue sowie zivile und miltärische Flughäfen geplant sind. Außerdem sieht die FDP einen Interessenausgleich, der möglicherweise nicht nur Gesundheitsschutz, sondern auch erhebliche Belästigungen vermeiden will, als Aufgabe der lokalen Planfeststellungsbehörden und nicht des Gesetzes.
Kommunalpolitiker aus Anlieger-Kommunen des Flughafens äußerten sich kritisch. Der Kelsterbacher Bürgermeister Engisch sagte, im Vergleich zum alten Fluglärmgesetz sei der neue Entwurf zwar ein Fortschritt, doch die Regierung und die Fraport fielen noch hinter das Ergebnis des Mediationsverfahrens zurück. Man hoffe, dass Naturschutzverbände und die Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF) noch eine Verbesserung erreichen könnten. Auch in Mörfelden-Walldorf ist man skeptsich gegenüber dem neuen Gesetz. Es sei zwar "ein Schritt in die richtige Richtung", doch es reiche bei weitem nicht aus und sei eine Verschlechterung gegenüber dem Mediationsergebnis.
Luftverkehrswirtschaft
Der Luftverkehrswirtschaft geht selbst der jetzige, schon sehr verwässerte Entwurf immer noch viel zu weit. >Fraport wollte sich über die erwartenden Kosten nicht äußern. Man wolle aber weiter auf Veränderungen des Gesetzentwurfes einwirken. Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) sieht die Entwicklungschancen der deutschen Flughäfen beeinträchtigt. Man stelle "mit großer Besorgnis fest, dass die vorgeschlagenen Lärmgrenzwerte insbesondere für Neu- und Ausbauvorhaben über das hinausgehen, was nach den Ergebnissen der anerkannten Lärmwirkungsforschung zum Schutz der Bevölkerung notwendig ist". Hier werde der Luftverkehrsstandort Deutschland mit vermeidbaren Kosten belastet. Das Ziel, bestehenden Raumnutzungskonflikte zu entschärfen und zukünftige Lärmkonflikte zu vermeiden, werde völlig verfehlt. Der Gesetzentwurf müsse noch gründlich überarbeitet werden.
Auch die BARIG (Verband der Airlines) äußerte sich enttäuscht vom Entwurf. Gerade in Deutschland, einem Land mit hohen Standortkosten und derzeit extremen Konjunkturproblemen, dürften nicht noch zusätzliche Hindernisse für Luftfahrt und Wirtschaft durch die Politik errichtet werden, sagte Generalsekretär Martin Gaebges. Man habe von der neuen Bundesregierung "Bereitschaft zur Veränderung erwartet und nicht den Griff in die Klamottenkiste".
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