KREIS GROSS-GERAU - Der geplante Ausbau des Frankfurter Flughafens beeinträchtigt die Gewerbe- und Industrieansiedlung in der Nachbarschaft sehr viel stärker als dies die Betreiber des Vorhabens, allen voran die Fraport AG, zugeben wollen. Insgesamt sind, bei ehrlicher Betrachtung, rd. 15.000 Arbeitsplätze entlang der Mainschiene gefährdet — bereits vorhandene Arbeitsplätze ebenso wie jene, die entstehen würden, wenn die vorhandenen bzw. die erschossenen Gewerbegebiete alternativ, d.h. ohne neue Startbahn in der Nachbarschaft bebaut werden könnten. Darauf hat jetzt Landrat Siehr hingewiesen. Er forderte deshalb die FRAPORT auf, in Sachen Arbeitsplätze endlich ehrlich zu argumentieren und von den angekündigten 18.000 neuen Arbeitsplätzen die wegfallenden 15.000 abzuziehen.
Formale Bauhöhenbeschränkungen im Überfluggebiet der neuen Bahn im Kelsterbacher Wald sowie der von den startenden und landenden Jets verursachte unerträgliche Krach hätten, so der Landrat, zur Folge, dass in Kelsterbach das Gewerbegebiet Taubengrund mit ca. 1.000 Arbeitsplätzen sowie das Chemiewerk Ticona mit ebenfalls ca. 1.000 Arbeitsplätzen aus Sicherheits- bzw. Arbeitsschutzgründen praktisch nicht mehr nutzbar wären. Zusätzlich betroffen seien Arbeitplätze bei Zulieferbetrieben in der Nachbarschaft in gleicher Größenordnung.
Das Chemiewerk Ticona, das auf einer Fläche von 48 Hektar Kunststoffe produziert, die vor allem in der Automobilindustrie benötigt werden, befindet sich nur wenige hundert Meter von der geplanten Nordwestbahn entfernt. Im Ausbaufall liegt das mit Chemikalien arbeitende Werk genau in der Einflugschneise und teilweise im Sicherheitsbereich der Landebahn. Erstaunlicherweise, so der Landrat, enthielten die im Raumordnungsverfahren vorgelegten Unterlagen keinerlei Angaben zu den Werksgebäuden und Schornsteinen, die im Ausbaufall abgerissen werden müssten, um die Hindernisfreiheit in der Einflugschneise zu gewährleisten. "Im Risikogutachten der Fraport ist das Werk samt seiner 1.000 Arbeitsplätze sogar überhaupt nicht erwähnt," wundert sich Siehr.
Weitere Arbeitsplätze in einer ungleich größeren Dimension fallen im Gefolge des Ausbaus durch die drastische Einschränkung der Nutzbarkeit des Entwicklungsbereichs Mönchhof auf dem Gebiet der Städte Raunheim und Kelsterbach weg. Siehr wörtlich: "Von den hier geplanten 12.000 neuen Arbeitsplätze muss sich die Region bei einer Realisierung der Nordwestbahn mehr oder weniger komplett verabschieden."
Gänzlich gefährdet sieht der Landrat die Zukunftsperspektiven auch auf dem ehemaligen Caltex-Gelände zwischen Raunheim und Kelsterbach, früher einmal als Filetstück der In-dustrieentwicklung im Rhein-Main-Gebiet bezeichnet. Dort wird derzeit die Errichtung des Güterverkehrszentrums (GVZ) Rhein-Main-West geplant. Diese Pläne sind, wie die Untersuchung eines unabhängigen Ingenieurbüros zeigt, beim Bau der Nordwestbahn nicht mehr realisierbar. Auf dem GVZ, das der Verknüpfung von Schienen- und Straßenverkehr dienen soll, waren bisher 1.200 Arbeitsplätze geplant. Es genoss bisher in der Verkehrspolitik des Landes Hessen einen sehr hohen Stellenwert.
Durch die Nordwestbahn wird das für das GVZ vorgesehene Gelände mit derartigen Bau-höhenbeschränkungen belegt, dass eine Realisierung nicht mehr möglich ist. Ein GVZ be-nötigt zur Stapelung von Containern lichte Höhen von etwa 20 bis zu 35 Metern. Aufgrund der im Falle der Nordwestbahn geltenden Höhenbeschränkungen wäre dadurch über die Hälfte des Geländes nicht mehr wie vorgesehen nutzbar. Zudem wäre eine Lagerung von Gefahrstoffen nicht mehr möglich. In der Region stehen keine Ausweichflächen zur Verfügung. Deshalb, so Siehr, käme die Aufgabe dieser Pläne einer Bankrotterklärung der Landespolitik im Bereich des Güterverkehrs gleich.
Den von der Fraport AG für den Ausbaufall prognostizierten zusätzlichen 18.000 Arbeitsplätzen auf dem Flughafengelände stehen somit ca. 15.000 geplante bzw, vorhandene Arbeitsplätze in unmittelbarer Nähe gegenüber, die im Ausbaufall entfallen würden — so die "ernüchternde Bilanz" des Landrats. Er sieht darin, neben den bekannten gesundheitlichen und ökologischen Argumenten, ein starkes Argument gegen den geplanten Bau der Nordwestbahn, das von den Betreibern des Flughafens bislang ignoriert worden ist. Siehr warnt allerdings davor, es als Plädoyer für eine der anderen Ausbauvarianten zu wenden. Auch eine Süd- oder die Nordostvariante schaffen nicht nur neue Arbeitsplätze, sie vernichten auch jede Menge, "und die Zeche zahlt auf jeden Fall die gesamte Region".
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