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Streit über Nachtflugverbot im hessischen Landtag
Von: @cf <2009-12-23>
Einen heftigen Schlagabtausch zu den Themen "Revision gegen VGH-Urteil" und "Nachtflugverbot" lieferten sich Regierung und Opposition am 22. Dezember im hessischen Landtag.

Der hessische Landtag hat sich am Dienstag, den 22. Dezember, in einer Sondersitzung mit dem Revisionsantrag der Landesregierung gegen das Urteil des VGH Kassel zum Nachtflugverbot befasst. Es geht um die Entscheidung, mit der die Kasseler Richter den geplanten Flughafenausbau erlaubt, aber zum Ausgleich der Lärmbelastung für die Bevölkerung eine Zahl nächtlicher Flüge von "annähernd null" für erforderlich erklärt hatten. Das Wirtschaftsministerium hat im Planfeststellungsbeschluss dagegen 17 zwischen 23 und 5 Uhr zugelassen. In der vergangenen Woche hatte die Landesregierung angekündigt, gegen das VGH-Urteil Revision einzulegen.

Von weihnachtlichem Frieden war in der Debatte nichts zu spüren. Inhaltlich Neues gab es eigentlich nicht, aber der Tonfall der verbalen Auseinandersetzung wurde gegenüber den Vortagen noch einmal verschärft. Vorwürfe wie Wortbruch, Betrug und Wählertäuschung, Klamauk und politische Schizophrenie waren noch relativ harmlos. Ministerpräsident Koch und Minister Posch wurden von der Opposition zum Rücktritt aufgefordert. Am Ende der mehr als dreistündigen Debatte lehnte die schwarz-gelbe Regierungsmehrheit in namentlicher Abstimmung einen Antrag ab, in dem SPD und Grüne einen Verzicht auf die Revision gefordert hatten.

Debatte über Nachtflüge und Wortbruch

Wirtschafts- und Verkehrsminister Posch (FDP) rechtfertigte den Revisionsantrag vor allem mit juristischen Argumenten. Auf diese Weise sei auf schnellstem Weg Rechtssicherheit zu erreichen, sagte Posch. Weiterhin strebe er eine Grundsatzentscheidung über das Verhältnis von Bundes- und Landesrecht an. Der VGH Kassel habe in seinem Urteil Auffassung vertreten, dass das Wirtschaftsministerium als Planfeststellungsbehörde bei der Anwendung des Luftverkehrsgesetzes an den Landesentwicklungsplans gebunden sei. Posch befürchtet: "Hätte diese Rechtsprechung Bestand, könnten wichtige Infrastrukturvorhaben nicht oder nur sehr verzögert realisiert werden."

Ministerpräsident Koch betonte, ein absolutes Nachtflugverbot sei wegen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht machbar. Er strebe an, möglichst schnell zu einer "rechtssicheren Regelung mit möglichst wenigen Nachtflügen" zu kommen. Einen Wortbruch sah Koch nicht. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Wagner schloss sich dieser Ansicht an, ließ aber deutlich durchblicken, dass er ein absolutes Nachtflugverbot aus wirtschaftlichen Gründen eigentlich gar nicht mehr anstrebt: "Wir wollen so wenig Nachtflüge wie möglich - unter besonderer Berücksichtigung der Arbeitsplätze, die hier vorhanden sind", sagte Wagner. Ein absolutes Nachtflugverbot wurde die Funktionsfähigkeit des Drehkreuzes gefährden und zum Verlust Tausenden von Arbeitsplätzen führen.

Die FDP-Fraktion forderte zunächst zur Sachlichkeit in der Debatte auf und lobte die "Transparenz der Arbeit der Landesregierung". Rechtssicherheit sei angesichts der überragenden Bedeutung des Flughafenausbaus für die Region und die Arbeitsplätze unverzichtbar. Danach folgten die üblichen Angriffe auf den politischen Gegner. Der stellvertretende Fraktionsvorsitze Greilich argwöhnte, die Opposition teile wohl insgeheim die Ansicht der Landesregierung zur Rechtslage bei den Nachtflügen, denn sonst müüse sie ja vor einer Revision keine Angst haben. Und weiter: "Wortbruch hat in Hessen einen Namen, und der lautet Ypsilanti". Die FDP habe schon vor der Wahl gesagt, dass sie den Planfeststellungsbeschluss (mit 17 Nachtflügen) unterstütze.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Schäfer-Gümbel warf Ministerpräsident Koch und Minister Posch "vorsätzlichen Betrug" vor, weil sie jahrelang den Eindruck erweckt hätten, der Bau einer neuen Landebahn sei untrennbar mit einem strikten Nachtflugverbot verbunden. Niemand zwinge die Regierung, Rechtsmittel gegen die VGH-Entscheidung einzulegen. Das Argument der Rechtssicherheit sei "an den Haaren herbeigezogen". Schäfer-Gümbel kritisierte, das einzigartige Mediationsergebnis werde "auf den Müllhaufen geworfen", und forderte Koch zum Rücktritt auf. Nach der Sitzung meinte SPD-Generalsekretär Roth: "Der Weihnachtsfrieden ist vergeigt, dank Roland Koch", man gebe den Kampf um die Nachtruhe am Flughafen aber nicht auf. Die SPD startete im Internet eine Unterschriften-Kampagne unter dem Motto "Nachtflugverbot jetzt".

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen Al-Wazir warf der Landesregierung erneut Wortbruch vor. Vermutlich habe Koch ein absolutes Nachtflugverbot nie wirklich gewollt. Mit seinem Taktieren untergrabe Koch die Glaubwürdigkeit der Politik insgesamt. Der Flughafenexperte Kaufmann sprach von "Politbetrug" und nannte Posch "als Minister untragbar". Vor der Sitzung verteilten die Grünen einen Aufkleber "Rückgrat gegen Wortbruch – Nachtflugverbot jetzt" auf den Plätzen von CDU und FDP.

Die Linke warfen Ministerpräsident Koch Wortbruch und Lügen vor: "Koch und Co. stehen für einen kompletten Glaubwürdigkeitsverlust". CDU und FDP betrieben seit Jahren "konsequent und rücksichtslos ausschließlich das Geschäft von Fluggesellschaften und Fraport." Der Parlamentarische Geschäftsführer Schaus wies auf die Belastung für die Bevölkerung durch den zusätzlichen Lärm bei einem Flughafen-Ausbau hin. Der Fluglärm mache krank, außerdem würden die Kommunen um den Flughafen in ihrer Entwicklung eingeschränkt. Die Linke lehnt den Flughafenausbau nach wie vor insgesamt ab und fordert ein absolutes Nachtflugverbot.

CDU und FDP schlugen entsprechend heftig zurück. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Wagner meinte,der Vorwurf des Wortbruchs sei eine Ungeheuerlichkeit, denn die CDU habe den Wählerinnen und Wählern bereits vor der Landtagswahl 2008 gesagt, was sie nach der Wahl vorhabe, und regte sich über SPD-Chef Schäfer-Gümbel auf: "Ausgerechnet er, der mit seiner Partei einen in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Wortbruch begangen hat, spielt sich zur moralischen Deutungsinstanz auf". Minister Posch warf der SPD vor, sie habe "die Grenzen des politischen Anstands überschritten". Koch sprach von "absichtlich vergifteten Vorschlägen" der Opposition.

Die Debatte im Original:

Wer sich die Redebeiträge im Original ansehen möchte, findet bei hr-online die Videos nd Kommentare:

Pressemeldungen zur Landtagssitzung

Die Presse äußerte sich ganz überwiegend negativ zu dem Revisions-Ansinnen der Landesregierung, wie schon in den vorherigen Tagen. Selbst die Kommentare von Zeitungen, die ansonsten eher für den Ausbau sind, fallen derzeit eher zur Freude von Ausbaugegnern aus.

Scharmützel im Vorfeld der Sitzung

Bereits im Vorfeld der Sitzung hatten sich die Kontrahenten eine Pressemitteilungs-Schlacht geliefert.

In einer gemeinsamen Pressemitteilung von CDU und FDP erklärten die Parteien, das Ziel der Revision sei "größtmögliche Nachtruhe für die Bevölkerung und Rechtsfrieden für den Ausbau". Verzicht auf die Revision seitens des Landes -würde eine höchstrichterliche Entscheidung nur verzögern und nicht vermeiden würde. Deshalb diene der Gang nach Leipzig den Interessen aller Beteiligten und der Flughafen-Anwohner. "Oppositionelles Getöse - auch wenn die Dezibelzahl dabei noch so hoch ist - erweist einer schnellen Lösung im Sinne des Lärmschutzes einen Bärendienst". Natürlich fehlt auch der Dauervorwurf "Wortbruch = Ypsilanti" hier nicht. Minister Posch erklärte zur Revision, nach "eingehender juristischer Prüfung der am 4.12. eingetroffenen Urteilsbegründung sei dieser Schritt unumgänglich".

Die SPD beantragte eine namentliche Abstimmung über ihren Antrag, auf Revision zu verzichten. Hier "könnten die Abgeordneten von CDU und FDP zeigen, was ihre Versprechen wert seien", erklärte ein SPD-Sprecher. Mit dem Antrag solle ein "kaltblütiger Wortbruch beim Ausbau des Frankfurter Flughafens" durch die schwarz-gelbe Landesregierung verhindert werden.

Die Grünen kündigten ebenfalls an, eine namentliche Abstimmung zu beantragen. "Jede Abgeordnete und jeder Abgeordnete von CDU und FDP ist jetzt persönlich gefragt, Rückgrat gegen diesen Wortbruch zu zeigen", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Wagner. Zuvor hatte die Grünen- Landtagsfraktion auf der Sondersitzung eine Regierungserklärung von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) gefordert. Die Bevölkerung habe ein Anrecht auf eine politische Begründung der angekündigten Entscheidung durch die Landesregierung.

Der Vorsitzende der Linken Wilken schimpfte, die Landesregierung wolle "mit ihrem Ruf nach Rechtssicherheit nur ihren kaltschnäuzigen Wortbruch verschleiern" und forderte ein uneingeschränktes Nachtflugverbot und den Stopp des Baus der neuen Landebahn.

Der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU), Fasbender,erklärte, weniger als die im Planfeststellungsbeschluss erlaubten 17 Nachtflüge wären wirtschaftlich unsinnig. Minister Posch habe zu Recht Revision eingelegt. Ohne Nachtflüge wäre Frankfurt bald kein Weltflughafen mehr, tausende Arbeitsplätze wären in Gefahr.

Pressemitteilungen im Vorfeld:

Ministerpräsident Koch hatte am 19. Dezember in einem Interview mit der FNP verkündet, es werde ein Nachtflugverbot mit "extrem wenigen Ausnahmen", eventuell weniger als zehn, geben, und sich vom Vorwurf des Wortbruchs distanziert.

Themen hierzuAssciated topics:

Hessische Landesregierung Nachtflugverbot Wirtschaftsministerium, hessisches Posch Koch, Roland (hessischer Ministerpäsident von 1999 bis 2010, …) Hessischer Landtag Landesentwicklungsplan Hessen (LEP)

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