Zum ersten Mal hat eine Studie gezeigt, dass lauter Fluglärm in der Nacht innerhalb von zwei Stunden zum Herz-Kreislauf-Tod führen kann. Forschende des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts (Swiss TPH) und Partner haben die Sterblichkeitsdaten mit der akuten nächtlichen Lärmbelastung um den Flughafen Zürich zwischen 2000 und 2015 verglichen. Die Ergebnisse der Studie wurden aktuell im renommierten European Heart Journal veröffentlicht.
Luftverschmutzung ist ein etablierter Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (CVD). Umweltlärm, der hauptsächlich in städtischen Gebieten mit Luftverschmutzung einhergeht, wurde bisher viel weniger beachtet. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt, dass allein die in Westeuropa verursachte Lärmbelastung bis zu 1,6 Millionen gesunde Lebensjahre pro Jahr kostet, hervorgerufen durch Schlafstörungen und Lärmbelästigung. Auch die „kardiovaskuläre Belastung“ durch Lärm ist erheblich. Für die Europäische Union wird geschätzt, dass Transportlärm zu 900.000 Fällen von Bluthochdruck, 43.000 Krankenhauseinweisungen und mehr als 10.000 vorzeitigen Todesfällen pro Jahr im Zusammenhang mit koronarer Herzkrankheit und Schlaganfall führt.
Die meisten Studien über Verkehrslärm und Herz-Kreislauf-Sterblichkeit konzentrierten sich bisher auf die langfristige Lärmbelastung. Diese Studien zeigen auf, dass chronische Lärmbelastung ein Risikofaktor für die Herz-Kreislauf-Sterblichkeit ist. Insgesamt können in Europa rund 48.000 Fälle von ischämischen Herzerkrankungen pro Jahr auf Lärmbelastung zurückgeführt werden, insbesondere auf Straßenverkehrslärm.
Die Studie des Swiss TPH zeigt zum ersten Mal, dass akuter nächtlicher Fluglärm innerhalb von zwei Stunden ab der Lärmbelastung einen Herz-Kreislauf-Tod auslösen kann. Die heute in der Fachzeitschrift European Heart Journal veröffentlichte Studie ergab, dass das Risiko eines Herz-Kreislauf-Todes bei einer nächtlichen Lärmbelastung zwischen 40 und 50 Dezibel um 33 Prozent und bei einer Belastung über 55 Dezibel um 44 Prozent steigt.
"Wir haben festgestellt, dass zwischen 2000 und 2015 bei ungefähr 800 von 25.000 Herz-Kreislauf-Todesfällen in der Nähe des Flughafens Zürich Fluglärm die Ursache war. Dies entspricht drei Prozent aller beobachteten Herz-Kreislauf-Todesfälle", sagt Martin Röösli, Korrespondenzautor der Studie und Leiter der Einheit "Environmental Exposures and Health" am Swiss TPH.
Gemäss Martin Röösli zeigen die Ergebnisse, dass Fluglärm ähnliche Auswirkungen auf die Herz-Kreislauf-Sterblichkeit haben kann wie Emotionen (zum Beispiel Wut oder Aufregung). "Die Ergebnisse überraschen nicht, denn wir wissen, dass eine Lärmbelastung in der Nacht Stress verursacht und den Schlaf beeinträchtigt", erklärt er. In ruhigen Gegenden mit wenig Eisenbahn- und Straßenverkehrslärm war die nächtliche Fluglärmwirkung stärker ausgeprägt. Dies war auch der Fall bei Menschen, die in älteren, weniger isolierten und damit lärmanfälligen Häusern wohnen.
Am Flughafen Zürich gilt ein Flugverbot zwischen 23.30 und 6.00 Uhr. "Auf Basis unserer Studienergebnisse können wir folgern, dass dieses nächtliche Flugverbot zusätzliche Herz-Kreislauf-Todesfälle verhindert", so Röösli.
Die Lärmbelastung wurde anhand einer Liste aller Flugzeugbewegungen beim Flughafen Zürich zwischen 2000 und 2015 und in Verbindung mit bereits vorhandenen Berechnungen der Fluglärmbelastung modelliert. Dabei berücksichtigt wurde der Flugzeugtyp, Flugroute sowie Tages- und Jahreszeit.
„Diese Studie muss Konsequenzen haben“, kommentiert der Kardiologe und Fluglärmforscher Prof. Dr. Thomas Münzel, der den Artikel der Schweizer Arbeitsgruppe im European Heart Journal kommentieren durfte. „Vorstellbar wäre, wie schon von Prof. Röösli angekündigt, ein Nachtflugverbot für die gesetzlich definierte Nacht von 22.00 – 6.00 Uhr, da nachweislich die plötzlichen Todesfälle aufgrund von Herz-Kreislauf-Ereignissen nachts stattgefunden haben“ so Münzel, der gleichzeitig auch Vorstandsmitglied der Stiftung Mainzer Herz ist . Münzel fährt fort: „Man darf nicht vergessen, dass wir bei unseren Fluglärmuntersuchungen nachgewiesen haben, dass insbesondere der Nachtfluglärm für unser Herzkreislaufsystem besonders schädigend ist.“
Über die Studie
Saucy, A., Schäffer, B., Tangermann, L., Vienneau, D., Wunderli, J. M., Röösli, M. Does nighttime aircraft noise trigger mortality? A case-crossover study on 24,886 cardiovascual deaths. (2020) European Heart Journal. DOI: 10.1093/eurheartj/ehaa957
Weitere Studien zum Nachtfluglärm
Kroller-Schon S, Daiber A, Steven S, Oelze M, Frenis K, Kalinovic S, Heimann A, Schmidt FP, Pinto A, Kvandova M, Vujacic-Mirski K, Filippou K, Dudek M, Bosmann M, Klein M, Bopp T, Hahad O, Wild PS, Frauenknecht K, Methner A, Schmidt ER, Rapp S, Mollnau H, Munzel T. Crucial role for No2 and sleep deprivation in aircraft noise-induced vascular and cerebral oxidative stress, inflammation, and gene regulation. Eur Heart J 2018;39(38):3528-3539.
Munzel T, Daiber A, Steven S, Tran LP, Ullmann E, Kossmann S, Schmidt FP, Oelze M, Xia N, Li H, Pinto A, Wild P, Pies K, Schmidt ER, Rapp S, Kroller-Schon S. Effects of noise on vascular function, oxidative stress, and inflammation: mechanistic insight from studies in mice. Eur Heart J 2017;38(37):2838-2849.
Schmidt F, Kolle K, Kreuder K, Schnorbus B, Wild P, Hechtner M, Binder H, Gori T, Munzel T. Nighttime aircraft noise impairs endothelial function and increases blood pressure in patients with or at high risk for coronary artery disease. Clin Res Cardiol 2015;104(1):23-30.
Schmidt FP, Basner M, Kroger G, Weck S, Schnorbus B, Muttray A, Sariyar M, Binder H, Gori T, Warnholtz A, Munzel T. Effect of nighttime aircraft noise exposure on endothelial function and stress hormone release in healthy adults. Eur Heart J 2013;34(45):3508-14a.
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