Der Europäische Gerichtshof hat in einem Urteil vom 07.11.2013 die Rechte privater Kläger im Umweltrecht gestärkt.
Nach dem Urteil können Kommunen und Privatpersonen nicht nur dann klagen, wenn in einem Planfeststellungsverfahren eine notwendige Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) nicht durchgeführt wurde, sondern auch, wenn die UVP nach ihrer Ansicht fehlerhaft war. Der Erfolg einer Klage ist dabei nicht davon abhängig, ob der Kläger persönlich in seinen Rechten eingeschränkt wird. Das von deutschen Gerichten für den Erfolg einer Klage vorausgesetzte Kriterium, dass die Entscheidung ohne den Fehler in der UVP anders ausgefallen wäre, hält der EUGH dagegen für vereinbar mit dem Europarecht. Allerdings darf die Beweislast dafür nicht dem Kläger aufgebürdet werden. Bisher war die inhaltliche Überprüfung der UVP vor Gericht im deutschen Recht nicht vorgesehen, obwohl das nach der EU-Richtlinie 2003/35/EG nötig wäre. Das Urteil soll auch für Verfahren gelten, die vor der Umsetzungsfrist vom 25. Juni 2005 begonnen wurden.
Auslöser der Entscheidung des EUGH war eine Klage der Gemeinde Altrip gegen einen Hochwasserpolder, der bei Hochwasser etwa 9 Millionen Kubikmeter Rheinwasser zum Schutz von Mannheim und Ludwigshafen zurückhalten soll. Altrip befürchtete Gefahren und Schäden durch das Wasser für die Gemeinde und Probleme mit dem Naturschutz, was in der UVP nicht korrekt berücksichtigt worden sei. In der Folge klagte sich die Gemeinde durch alle Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht. Dieses legte die Frage der Berechtigung der Klage wegen eventuellen Verstoßes gegen das Europarecht dem Europäischen Gerichtshof vor, der den Klägern recht gab. Gestorben ist der Bau des Polders trotz des Erfolgs beim EUGH allerdings noch nicht; das Verfahren wird jetzt vor dem Bundesverwaltungsgericht weiter geführt.
Der auch aus Flughafenprozessen bekannte Rechtsanwalt Baumann betrachtet das Urteil des EUGH als wichtigen Erfolg, der die Position von Klägern gegen große Infrastrukturprojekte deutlich stärkt und Auswirkungen im gesamten deutschen Umweltrecht haben wird. Das Urteil könnte auch Konsequenzen für die offenen Verfahren in Sachen Flughafenausbau haben.
Auch in anderen Aspekten des Zugangs zu Gerichten ist nach Ansicht der EU-Kommission das EU-Recht im deutschen Umweltrecht immer noch nicht korrekt umgesetzt. Die Verhandlungen der Kommission mit der Bundesregierung sind offenbar nicht befriedigend verlaufen, deshalb hat die Kommission im Oktober Klage gegen Deutschland eingereicht. Zum Beispiel wird ein Problem darin gesehen, dass vor Gericht nur auf die Argumente berücksichtigt werden, die von Anfang an im Planverfahren geltend gemacht worden sind.
Mehr:
- Pressemitteilung der Kanzlei Baumann zum Urteil
- Text des Urteils des EUGH (Az C-72/12) vom 07.11.2013
(komplizierter Text, Zusammenfassung am Schluss des Dokuments oder am Ende dieses Beitrags) - Kurzer Bericht bei SWR
- Bericht der Altriper Lokalzeitung, mit einigen Infos zum Verfahren
- Umweltpolitik: Europäische Kommission verklagt Deutschland wegen des Zugangs zu Gerichten
Pressemitteilung der EU-Kommission vom 17.10.2013
Die Leitsätze aus dem Urteil des EUGH (Az C-72/12) vom 7.11.13:
Die in der Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, mit der Art. 10a in die Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten eingefügt wurde, vorgesehene Umsetzungsfrist bis zum 25. Juni 2005 ist dahin auszulegen, dass die zur Umsetzung des genannten Artikels ergangenen Vorschriften des nationalen Rechts auch für behördliche Genehmigungsverfahren gelten müssen, die vor dem 25. Juni 2005 eingeleitet worden waren, in denen aber erst nach diesem Zeitpunkt eine Genehmigung erteilt wurde.
Art. 10a der Richtlinie 85/337 in der durch die Richtlinie 2003/35 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten daran hindert, die Anwendbarkeit der zur Umsetzung dieses Artikels ergangenen Vorschriften auf den Fall zu beschränken, dass die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung aufgrund des Unterbleibens einer Umweltverträglichkeitsprüfung angefochten wird, und nicht auf den Fall zu erstrecken, dass eine solche Prüfung zwar durchgeführt wurde, aber fehlerhaft war.
Art. 10a Buchst. b der Richtlinie 85/337 in der durch die Richtlinie 2003/35 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsprechung nicht entgegensteht, nach der keine Rechtsverletzung im Sinne dieses Artikels vorliegt, wenn nach den Umständen des konkreten Falls nachweislich die Möglichkeit besteht, dass die angegriffene Entscheidung ohne den vom Rechtsbehelfsführer geltend gemachten Verfahrensfehler nicht anders ausgefallen wäre. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn das mit dem Rechtsbehelf befasste Gericht oder die mit ihm befasste Stelle dem Rechtsbehelfsführer insoweit in keiner Form die Beweislast aufbürdet und gegebenenfalls anhand der vom Bauherrn oder von den zuständigen Behörden vorgelegten Beweise und allgemeiner der gesamten dem Gericht oder der Stelle vorliegenden Akte entscheidet. Dabei ist u. a. der Schweregrad des geltend gemachten Fehlers zu berücksichtigen und insbesondere zu prüfen, ob dieser Fehler der betroffenen Öffentlichkeit eine der Garantien genommen hat, die geschaffen wurden, um ihr im Einklang mit den Zielen der Richtlinie 85/337 Zugang zu Informationen und die Beteiligung am Entscheidungsprozess zu ermöglichen.
EU - Richtlinien Gerichtsurteile Klage (vor Gericht) Umweltverträglichkeits-Prüfung (UVP) EU-Kommission