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Erörterungstermin - Bericht vom 7.11.2005
Der Streit um das Jansen-Kriterium
Von: @cf <2005-11-07>

Thema am Montag, den 7.11.2005, war Tagesordnungspunkt 5.1.1., Bewertungsmaßstäbe für Fluglärm. Am Vormittag wurden - für den Laien eher langweilige - juristische Fragen diskutiert. Am Nachmittag erwartete man mit Spannung die wissenschaftliche Auseinandersetzung zwischen Maschke und Jansen, ob das Jansen-Kriterium richtig ist oder nicht. Doch eine richtige fachliche Debatte fand nicht statt - die Fraport-Gutachter redeten sich heraus. Ein Beweis für das Jansen-Kriterium wurde nicht gefunden. Wenn an anderen Tagen eher das Vertrauen der Privateinwender in Fraport, das Planfeststellungsverfahren, die Politik oder sogar den Rechtsstaat erschüttert wurde, so war es an diesem Tage der Glaube an die Wissenschaft, der verloren ging.

Juristische Fragen

Der gesamte Vormittag war - mit Ausnahme des bemerkenswerten Vortrags eines Privateinwenders - trockenen juristischen Fragen gewidmet. Die Debatte befasste sich mit Begriffen wie Erheblichkeitsschwelle, erhebliche Belästigung und Gesundheitsgefährdung und deren juristischen Auslegung, und der Frage, ob man die Kriterien aus anderen Gesetzen für den Fluglärm übernehmen kann. Ebenfalls wurde diskutiert, wann Fluglärm verfassungsrechtlich unzumutbar ist. Weiterhin wurde darüber gestritten, ob die Mediziner über Gesundheitsbegriff und Grenzwerte entscheiden, oder die Juristen (als Privateinwender und Betroffener fragte man sich bei dieser Debatte durchaus, was hier besser sei ... ). Nicht-Juristen waren die Diskussionen schwer verständlich und nicht sehr aufschlussreich. Sie sind daher nur verkürzt (und erst ab der zweiten Sitzung) wiedergegeben.

Die gleichen Lärmgrenzwerte für alle Lärmarten?

Herr Lurz (Fraport) führte aus, Art. 2 Abs. 2 GG könne eingeschränkt werden, z.B. durch das Luftverkehrsgesetz. Die Frage, ob und wann der Fluglärm verfassungsrechtlich oder nach Fachplanungsrecht verfassungswidrig sei, müsste erst die Planfeststellungsbehörde und dann die Gerichte entscheiden. Man könne zwar auf andere vergleichbare Gesetze schauen, nach dem Flugroutenurteil sei aber klar, dass das Bundesimmissionsschutzgesetz nicht heranzuziehen sei. Beim Fluglärm sei die Lage vom Gesetzgeber her undefiniert, deshalb sollten die Lärmmediziner helfen, Vorschläge zu machen. Zum Argument von Rechtsanwalt Schröder, es gebe kein Privileg des Luftverkehrs, meinte Lurz, das sei zwar richtig, es müsse aber auch keins geben, der Luftverkehr werde einfach aus gutem Grund anders behandelt. Der Flugverkehr sei nämlich Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Rechtsanwalt Schröder widersprach. Was einzelne Emittenten dürften, hinge zwar vom Gewicht des dahinter stehenden öffentlichen Interesses ab. Man wolle auch hier keine Analogie zu einer kommunalen Rasenmäherverordnung schaffen, zu vergleichen sei mit Schiene und Straße; diese seien ebenso im öffentlichen Interesse wie der Flugverkehr. Man wolle nicht die Regelungen der 16. BImSchV übertragen, sondern nur das dort definierte Schutzniveau. Der Lärm sei im Grunde egal, es komme auf die Wirkung an. Unser Recht dulde eine bestimmte Quote erheblich Belästigter. Warum solle diese Quote an Flughäfen an Flughäfen anders sein als bei Straße und Schiene? "Die Gesundheit wird nicht definiert von den Medizinern, sondern von den Juristen. Wir lassen auch nicht die Leiter von Vollzugsanstalten definieren, was Freiheit ist". Der Gesundheitsbegriff der Medizin sei der Mode unterworfen, das Recht dürfe sich nicht davon abhängig machen. Das RP fragte, von welchem Gesundheitsbegriff Fraport ausgehe. Fraport antwortete, die Mediziner definierten den Gesundheitsbegriff aus medizinischer Sicht, dieses müsste dann noch von den Juristen in die juristische Form gebracht werden. Planfeststellungsbehörde und Gerichte müssten dann entscheiden, ob es richtig gemacht worden sei. Der Gesundheitsbegriff, den die Fraport-Gutachter verwendet hätten, sei weiter gefasst als allgemein angenommen.

Wer definiert Gesundheit - die Mediziner oder die Juristen?

Prof. Scheuch sagte dazu, die Synopse sei ein Hilfsmittel, "wir haben hier unsere Prioritäten festgelegt". Die Definition von Gesundheit dürfe nicht allein Sache der Mediziner sein. Er sei kein Jurist, meine aber, dass der Gesundheitsbegriff auch rechtlich nicht definiert sei. Es gebe hier eine Vielzahl von Interessen, viele Fachgebiete seien beteiligt. Er kritisierte erneut, dass man den Gesundheitsbegriff der Gutachter "in die Nazi-Ecke" gestellt habe. Man wolle keine Polarisierung "gesund - krank". Bei der Begründung der Werte gehe es um Vermeidung von Krankheiten, Beeinträchtigungen und Gefahren. Dem Gefahr-Charakter solle Rechnung getragen werden. "Unsere Gesundheitsdefinition umfasst den körperlichen Bereich und die Psyche. Dies hat als Konsequenz, dass unterschiedliche Schutzziele definiert werden. Gesundheit ist nicht statisch, sondern ein Prozess, Gesundheit kann gefördert werden".

Bei den präventiven Richtwerten der Gutacher könne es für sensible Personen noch Beeinträchtigungen geben, deshalb habe man "schutzbedürftige Einrichtungen" getrennt betrachtet, man empfehle, bei besonders gefährdeten Personen die individuelle Betroffenheit zu prüfen [Hinweis: die Gutachter stellen sich hier ein amtliches Prüfungsverfahren der gesundheitlichen Beeinträchtigung für Kranke vor, die nicht in Altersheim/Krankenhaus wohnen, sondern zu Hause; wer es besteht, kann dann auch Schallschutzfenster bekommen]. "Wir müssen nur sagen, was sind gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse und was sind Spekulationen", sagte Scheuch, "das müssen wir ordentlich machen. In einigen Bereichen gibt es heute keine Antworten".

Prof. Spreng fügte hinzu: "Wir haben es ängstlich vermieden, Grenzwerte festzusetzen, nur Eckwerte und Schwellenwerte." Unterhalb der Schwellenwerte müssten keine näheren Betrachtungen angestellt werden. RA Schröders "gleiches Schutzniveau" sei ein Rückschritt. Die von ihm genannten Schutzziele umfassten nur Dauerschallpegel, "dies sei eine Methode, die Bevölkerung hinters Licht zu führen" (Zustimmung der Privateinwender). Dauerschallpegel würden aus der Sicht der Betroffenen die Belastung nicht richtig wiedergeben, alle verlangten die Berücksichtigung von Einzelschallpegeln. Das habe man für die Nacht getan. Auch beim Straßenlärm würde differenziert, so gebe es Zuschläge für die besondere Lästigkeit der Geräusche an Kreuzungen. Aus Wirkungssicht sehe er die Gleichbehandlung aller Lärmarten nicht. Rechtsanwalt Schröder führte aus, das Recht habe den Vorteil, aus der unübersehbaren Zahl der Fakten die wichtigsten herauszuheben, die Flucht in die Breite stifte Verwirrung. Man solle das Schutzniveau der 16. BImSchV übernehmen bezogen auf die Schadwirkungen. Alte, Kranke und Kinder seien Bestandteil der Wohnbevölkerung und müssten bereits im allgemeinen Schutzniveau enthalten sein.

Rechtsanwalt Schmitz schloss sich Schröder an. Er nahm Bezug auf die Äußerung von Herrn Lurz, dieser ließe die Mediziner die Werte festlegen und das Rechtssystem konkrete Grenzwerte zuordnen. "Wir sagen, wenn man einer interdisziplinären Frage nachgeht wie der Zumutbarkeit von Fluglärm, müssen sich die Mediziner erst einmal die rechtlichen Begriffe aneignen und da anfangen. Die Juristen wissen, was eine Gesundheitsgefahr ist, nämlich die Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Gesundheitsschäden". Die "verfassungsmäßige Unzumutbarkeitsschwelle" solle auch vor dieser Gesundheitsgefahr schützen. Die "fachplanerische Unzumutbarkeitsschwelle" liege deutlich darunter. Dann gebe es noch die "Beachtlichkeitsschwelle", danach sei jede Lärmbelastung beachtlich, die "nicht lediglich geringfügig" sei. Die Gutachter hätten auch drei Stufen, aber andere. Dieses mache den Ansatz, der PFV-Behörde zu helfen, schon weitgehend zunichte. Die Einwender sollten die Lärmbelästigung anhand der Grenzwerte abschätzen können (Einwender: "Lieber nicht!"). Dies sei nicht erfüllt. Man müsse sich aber auch den Landesentwicklungsplan ansehen, der zeitgleich bearbeitet würde. Hier seien wieder andere Kriterien (die aus dem Raumordnungsverfahren) verwendet worden und es würden völlig andere Zahlen herauskommen. Hier müsste nachgearbeitet werden. "Erhebliche Belästigung" sei ein juristischer Begriff, es gehe um die Belästigung, die gerade noch zumutbar sei. Der Begriff "starke Belästigung" der Gutachter sei nicht von der Gesundheitsgefährdung zu trennen, da sie kontinuierlich auftrete, dies sei nicht mit der "erheblichen Belästigung" zu vergleichen" .

Rechtliche Wertung von Herrn Gaentzsch

Verhandlungsleiter Gaentzsch meinte, es solle nicht der Eindruck entstehen, die Kommunikationsstörung habe etwas mit der Erheblichkeitsschwelle zu tun. Kommunikationsstörungen seien ein klassischer Fall für "erhebliche Belästigung". Man müsse anhand einzelner Merkmale der Gesundheitsgefährdung sehen, wie man sie messen könnte, nachschauen, ob die Merkmale zutreffen und ob die Zahlen, die abgeleitet wurden, zutreffen, und das dann mit juristischen Begriffen auffüllen. Die Gutachter hätten gesagt, bei der "erheblichen Belästigung" gebe es auch einen politischen Anteil, deshalb hätten sie wohl nicht die juristischen Begriffe gewählt. Sie wollten nicht die juristischen Begriffe definieren. Die Antragsteller würden kein Schutzniveau vorgeben. Man sei nicht im luftleeren Raum. 62 dB(A) spielten eine relativ gefestigte Rolle, aber die PFV-Behörde sei nicht daran gebunden, wenn es neue Erkenntnisse gebe, könnte man auch niedriger gehen. Die TA Lärm sei nicht unmittelbar auf Fluglärm anwendbar, die Richter könnten sie aber bei der Einschätzung der Belästigung als Orientierung heranziehen. So meine RA Schröder wohl, könne man auch die 59 dB(A) der 16. BimschV berücksichtigen.

Ein Privateinwender: "Ich will dieses Risiko nicht hinnehmen!"

Als nächstes kam ein Privateinwender zu Wort. Er kritisierte sowohl die Lärmmediziner als auch die Juristen und brachte damit sehr gut die Empfindungen des "normalen Einwenders" zum Ausdruck. Er begann mit der Frage: "Was stellt sich hier als Wissenschaft dar?" Es sei wichtig, komplexe Begriffe auf justiziables Niveau zu bringen. Die Aufgabe von Verhandlungsleiter Gaentzsch sei wohl, möglichst viele Klagepunkte auszuschalten, jedenfalls wirkten seine Vorträge als sei man schon im Gerichtssaal. Zu Prof. Scheuch sagte der Einwender, "Ihre erschreckende Betroffenheit vom Freitag [Anmerkung: über die Analogie seines Gesundheitsbegriffs mit dem im Dritten Reich verwendeten] macht deutlich, in welcher Nähe man sich oft befindet, ohne es zu wissen. Man muss auf die Ergebnisse achten. Ihre These könnte sein, man müsse die Menschen ertüchtigen, den Lärm besser zu ertragen. Ihre Untersuchung scheint einseitig in der Hinsicht, was kann man den Menschen noch an Lärm zumuten.

Sie sagen, Lärm ordnet sich ein in die normalen Lebensrisiken. Für uns ist das nicht so. Ich will dieses Risiko nicht mehr hinnehmen, selbst in 25 km Entfernung vom Flughafen nicht. Was 'beachtlich' ist, ist relativ. Eine 'beachtliche' Lärmeinwirkung beurteile ich nach der Frage, tut es mir gut oder nicht. Wenn nicht, ist es eine störende Lärmeinwirkung. Sie sagen, man müsste Maximalpegel und Häufigkeit zur Beurteilung heranziehen, das ist im Prinzip in Ordnung. Die von Ihnen genannten Werte verwirren nur. Vielleicht sind bei mir 13 x 53 Dezibel nicht erfüllt, aber der Lärm stört mich trotzdem! Sie sagen, bei normaler Lebenstätigkeit müssen hohe Einzelpegel hingenommen werden. Ich finde diese sehr unangenehm, besonders nachts. Nachts will ich schlafen!

Bei der Gesundheit ist für mich die Definition der WHO die richtige Definition. Was heißt denn, Gesundheit sei ein Prozess? Ich bin mit 64 noch relativ gut drauf und fühle mich wohl. Wenn ich aber Sonntag auf meiner Terrasse sitzen und mich erholen will, und ich höre "WWommmm" und es geht mit dem Fluglärm los, ist mein Zustand vom psychischen und sozialen Wohlbefinden gestört. Ich möchte die Sonnenstrahlen genießen, der Fluglärm stört mich dabei! Jetzt muss ich mir hier anhören, ich muss diese Störungen hinnehmen. Ich will sie aber nicht hinnehmen! Warum sollte ich sie hinnehmen? Dieses Recht hat die Behörde nicht, zu sagen, Sie dürfen am Sonntag nicht auf Ihrer Terrasse sitzen und sich erholen."

An die Adresse von Prof. Griefahn [Anmerkung: sie hatte gesagt, man könne sich im Schlaf an den Lärm gewöhnen] sagte der Einwender: "Ich kann meine Gehirnströme nicht beeinflussen, und mein vegetatives Nervensystem auch nicht. Wenn ich in die Disco gehe und finde den Lärm toll, ist das meine persönliche Entscheidung. Die Frage der Freiwilligkeit ist entscheidend. Dem Fluglärm setze ich mich nicht freiwillig aus! Jemand kann gern zum Flughafen gehen und sich das anhören, wenn er will, aber zu Hause will ich meine Ruhe. Ich will mich konzentrieren oder erholen, da stört jeder Lärm! Ich bin dann ganz erheblich gestört."

"Ich war 30 Jahre lang Lehrer, Sie berücksichtigen die Schulen nicht", fuhr der Redner fort. "Nicht nur die Schüler werden beeinträchtigt, sondern auch die Lehrer, weil die Schüler durch den Lärm unruhig werden und sich nicht konzentrieren können. Was machen die Hörgeschädigten. Heute haben sogar viele Jugendliche schon einen Hörschaden. Wen nehmen Sie denn für Ihre Laborversuche, vor Gesundheit strotzende starke sogenannte Durchschnittsmenschen, oder die realen Menschen, die auch Vorschäden haben? Sie vertreten die Fraport. Wir brauchen aber neutrale Gutachter, und zwar hier. Gibt es die überhaupt noch? Wenn solche Gutachten erst kommen, nachdem die Anhörungsbehörde ihren Bericht gemacht hat, haben wir nichts mehr davon", schloss der Einwender seinen Vortrag. Er zweifelte die Neutralität der Behörde an: "Sie, Herr Gaentzsch, Sie machen manchmal Sekundanten für die Fraport. Das sollten sie nicht tun". Dieser Vortrag hatte den (wenigen) anwesenden Privateinwendern aus der Seele gesprochen, es gab großen Beifall.

Der angesprochene Herr Gaentzsch versuchte die Äußerung des Einwenders gleich wieder juristisch zu interpretieren. Die Frage sei, ob man die Messlatte bei der Summe der individuellen Wünsche ansetze, oder ob man die durchschnittlich empfindende Referenzperson nehme. Bei der erheblichen Belästigung gebe es auch den Begriff der "sozialen Adäquanz", der auch in den Gutachten erwähnt sei, die Beantwortung der Frage würde erst einmal zurückgestellt.

Ist der Fluglärm in Offenbach verfassungswidrig?

Nach diesem Intermezzo aus der realen Welt übernahmen wieder die Juristen das Gelände. Rechtsanwalt Geulen führte aus, für ihn gebe es als Kernpunkte zwei Begriffe: einmal einen unteren Wert, der die Abwägungsrelevanz auslöst und die besagt, was in die Abwägung einzustellen ist, der Betroffene habe hier nur den Anspruch auf Abwägung. Wichtiger sei der Wert für die Unzumutbarkeit, der definiert, wann ist etwas verfassungsrechtlich hinzunehmen und was nicht. "Der Gesetzgeber hat uns im Stich gelassen und keine Grenzwerte für die Unzumutbarkeitsschwelle definiert", meinte Geulen. Auch ohne diese Grenzwerte gebe es aber eine verfassungsrechtliche Schwelle, die die Gerichte entscheiden würden. Dies sei eine juristische Frage, die Naturwissenschaftler seien nur Gehilfen".

Herr Lurz (Fraport) habe gesagt, Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes werde nicht schrankenlos, sondern nur nach Maßgabe des Gesetzes gewährt. Die Gesundheit hat einen besonders hohen Rang, sie ist absolut geschützt und nicht abhängig vom Gesetz. "Der Gesetzgeber entscheidet nicht, was Leben und Gesundheit sind, dies sollte man nicht leichtfertig so sagen". Geulen meinte, man habe jetzt (in Offenbach) in bestimmten Stadtgebieten eine Vorbelastung, die die verfassungsrechtliche Schwelle überschreite, er zitierte dazu aus dem VGH-Urteil. Auf die "Posch-Bescheide" [Anordnungen für Schallschutzmaßnahmen] könne sich Fraport nicht berufen. Durch die enthaltene Einschränkung der Betriebsgenehmigung könne die Belastung vermindert werden und sie seien als Ergänzung des Planfeststellungsbeschlusses von 1971 zu sehen. Die Posch-Bescheide seien aber Gegenstand der Klage gewesen, der VGH habe in Kenntnis dieser Bescheide entschieden, dass jetzt die Zumutbarkeitsschwelle überschritten sei. "Wie soll es vertretbar sein, dass zu der jetzt schon verfassungsrechtlich unzumutbaren Belastung durch den Ausbau noch Belastungen hinzukommen und dass diese lärmmedizinisch vertretbar sein sollen", fragte Geulen.

Verhandlungsleiter Gaentzsch antwortete darauf, die verfassungsrechtliche Zumutbarkeitsschwelle sei natürlich nicht disponibel, die Gutachter müssten bei der Feststellung helfen. Die konkrete Situation in Offenbach könnten die Gutachter aber nicht wissen. Wenn die Situation dort bereits jetzt verfassungsrechtlich unzumutbar wäre, würde dies keine anzurechnende Vorbelastung darstellen und die Vorbelastungen würden auch die Grenze der erheblichen Belästigung nicht erhöhen.

Herr Lurz (Fraport) antwortete, er habe natürlich nicht gesagt, dass Luftverkehrsgesetz gehe über die Grundrechte hinaus. Er habe nur sagen wollen, dass für die Festlegung der Grenzen nur das Luftverkehrsgesetz heranzuziehen sei (nicht das Bundesimmissionsschutzgesetz), und dort gebe es keine Regelung. Deshalb sei eine lärmmedizinische Stellungnahme nötig. Rechtsanwalt Geulen würde das Offenbach-Urteil des VGH "überinterpretieren". Das Gericht meine, dass durch die Posch-Bescheide der Lärmschutz gewährleistet sei: "Wenn Ihre Ansicht richtig wäre, dann hätten Sie ja die Klage gewonnen." Das Urteil würde einem Ausbau nicht im Wege stehen. Der Streit wurde noch eine Zeitlang fortgesetzt.

Das Jansen-Kriterium - richtig oder nicht?

Nach der Mittagspause wandte sich die Diskussion wieder lärmmedizinischen Fragen zu. Erwartet wurde eine spannende wissenschaftliche Auseinandersetzung - zwischen dem Lärmmediziner Dr. Maschke, der seit Jahren behauptet, das Jansen-Kriterium sei falsch und das auch nachgewiesen hat - und dem Urheber der Kriteriums, Prof. Jansen. Noch nie waren die beiden wegen dieser Sache in einer für eine solche Auseinandersetzung geeigneten Umgebung zusammengetroffen. Doch die Hoffnungen auf eine erhellende wissenschaftliche Diskussion wurden enttäuscht, die Auseinandersetzung fand nicht statt. Die Fraport-Gutachter scheuten die fachliche Auseinandersetzung, sie redeten sich nur um den heißen Brei herum. Der wissenschaftliche Beweis für das Jansen-Kriterium wurde nicht erbracht, und es wurde auch nicht für nötig gehalten, das zu tun. Die Debatte war geeignet, den Glauben an die Wissenschaft nachhaltig zu erschüttern - da hatten sich einige Leute Illusionen gemacht.

Anmerkungen zum besseren Verständnis:
Im folgenden werden folgende Definitionen aus den Gutachten G12.1und G12.2 verwendet:
KTW = Kritischer Toleranzwert, PRW = Präventiver Richtwert.
In den Gutachten ist der KTW definiert als "Leq 8 Stunden = 40 dB(A), oder 6 x 60 dB(A) ("Jansen-Kriterium"), jeweils am Ohr des Schläfers..
Der PRW wird definiert als "Leq 8 Stunden = 35 dB(A), oder 13 x 53 dB(A)".
Der Schwellwert wird bei "Leq 8 Stunden = 30 dB(A), 23 x 40 dB(A)" angenommen.
Das "Jansen-Kriterium" besagt, dass bei 6 Schallereignissen zu je 60 dB(A) Maximalpegel (entspricht 75 dB(A) außen) eine Aufwachreaktion stattfindet.
Die Abkürzung "6x60" bedeutet immer "6x60 dB(A)". Gemeint sind maximal 6 Schallereignisse pro Nacht über 60 dB(A) am Ohr des Schläfers. Gilt auch für andere Kombinationen "a x b".

Die wissenschaftliche Debatte war teilweise kompliziert. Sie wird nach bestem Wissen und Gewissen wiedergegeben, aber ohne Gewähr, dass jedes Detail richtig verstanden wurde. Anmerkungen, wie immer, in [eckigen Klammern].

Dr. Maschke: Jansen-Kriterium keine wissenschaftliche Erkenntnis

Privatdozent Dr.-Ing. Maschke, ein bekannter Lärmmediziner und Gutachter für Zukunft Rhein-Main, präsentierte seine Widerlegung des Jansen-Kriteriums. Er ging zunächst auf die drei Einzelgutachten (von Jansen/Scheuch, Griefahn, Spreng) ein, aus denen die Synopse zusammengebaut wurde, und verglich die dort verwendeten Richtwerte, die sich jeweils unterscheiden. Er fragte sich, wie man zu dem Kriterium "6x60 dB(A)" kommen könnte. Im Gutachten besonders erwähnt sind das "Griefahn-Modell" und das "Cortisol-Modell" von Spreng.

Maschke betrachtete zuerst das Griefahn-Modell und die "Aufwachschwelle" von 60 dB(A). Die Aufwachschwelle beruht auf einer Arbeit von Prof. Griefahn aus dem Jahr 1976. Griefahn hatte 10 Veröffentlichungen mit insgesamt 94 Versuchspersonen zu diesem Thema untersucht und die dort gefundenen Daten zusammengestellt. Dabei wurde eine Ausgleichsgerade ermittelt, die die Aufwachwahrscheinlichkeit mit dem Maximalpegel in Beziehung setzt. Griefahn hatte diese Gerade verlängert, der Schnittpunkt der gerade mit der Null-Linie liegt bei 60 dB(A) liegt. Daraus wurde abgeleitet, dass man bei Schallpegeln unter 60 dB(A) nicht aufwacht.

Maschke führte aus, Griefans Gerade "beruhe auf einer Datenverarbeitung, die heute als falsch bezeichnet werden kann". Heute würde man eine Regressionsgerade ermitteln, was er mit den damaligen Datensätzen getan habe. Die nach aktuellen Verfahren berechnete Gerade schneide die Linie nicht bei 60 dB(A), sondern bei 48 dB(A). Eigentlich mache ein solcher Schnittpunkt aber gar keinen Sinn, weil im unteren Bereich zu wenige Daten seien, um eine Extrapolation zu ermöglichen. Maschke folgerte: "Die theoretische Aufweckschwelle von 60 dB(A) ist falsch und als Richtwert ohne interne Validität". Er habe Griefahn seine Ergebnisse vor 3 Jahren geschrieben und nie eine Antwort erhalten. Wenn er sich verrechnet habe, hätte Griefahn es ihm bestimmt mitgeteilt - das sei nicht geschehen, also sei akzeptiert, der Wert sei falsch. Auch für den zweiten Teil des 6x60-Kriteriums, die Zahl von 6 Ereignissen, konnte Maschke keine überzeugende Begründung finden. In einer weiteren Arbeit von Griefahn habe er eine Kurve gefunden, die die Anzahl der Aufwachreaktionen in Abhängigkeit von der Zahl der Schallereignisse angibt (auf Seite 83 im Gutachten G12.1 dargestellt). Woraus diese Kurve abgeleitet ist, sei aber nicht erwähnt. Er habe herausgefunden, dass diese höchst wahrscheinlich auch auf den falsch ausgewerteten Daten beruhe und ebenfalls aus heutiger Sicht falsch sei.

Das Griefahn-Modell zum Aufwachen durch Lärm sei im Gutachten sehr ausführlich erwähnt, die beiden "falschen" Kurven seien Grundlage des Modells (s.83 und 84). Die Ausgleichsgerade (für die 60 dB(A)) sei allerdings im Gutachten in modifizierter Form aufgeführt (läuft unten weich aus und schneidet die Null-Linie nicht mehr, neue Erkenntnisse?), begründet sei die modifizierte Form nicht. Maschke schloss: "6x60 dB(A) ist keine gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis und kann nicht aufrecht erhalten werden. Wie kann ein Modell, dass auf 2 Kurven beruht, die auf falsch ausgewerteten Daten basieren, eine gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis sein?" Selbst wenn die Kurven im Gutachten richtig wären, würde 6x60 nicht daraus folgen. Die Richtwerte in G12.1 könnte man jedenfalls daraus nicht herleiten. Maschke fragte, ob es bei der Synopse keine Qualitätssicherung gegeben habe. Er fragte sich, wie es passieren könne, "dass 4 hochgelehrte Köpfe zusammensitzen und nicht merken, dass sie ein Modell verwenden, das auf nachweislich falschen Daten beruht". Wenn es eine Qualitätssicherung gegeben habe, würde er gerne wissen, wie diese ausgesehen habe.

Wer mehr über Maschkes Ableitung wissen möchte, findet das Originalgutachten beim Rhein-Main-Institut:

Als nächstes befasste sich Maschke mit dem Cortisol-Modell von Prof. Spreng. Das Modell geht davon aus, dass die einzelnen Geräusche jeweils zu einer Ausschüttung des Stresshormons Cortisol führen, das nur langsam abgebaut wird und sich daher über die Nacht akkumulieren kann. Der Cortisolspiegel soll einen bestimmten Wert nicht überschreiten. Das Modell bezeichnete Maschke als in sich konsistent. Mit dem Modell werde eine "Kurve gleichen Risikos" berechnet, die Kurve gibt die Anzahl der tolerierbaren Zahl von Schallereignissen in Abhängigkeit vom Maximalpegel an. Allerdings liege der Wert 6x60 dB(A) nicht auf dieser Kurve, sondern etwas darunter. Auch aus diesem Modell könne man also "6x60" nicht herleiten. Es sei auch nicht plausibel, dass nach dieser Kurve der KTW von 6 x 60 dB(A) ein geringeres Risiko hätte als 13x53 dB(A), was dem PRW entspricht. Weiterhin wies Maschke auf die DLR-Studie zum Schlaf hin, nach der es schon ab 33 dB(A) Aufwachreaktionen geben könne. Deshalb müssten auch Pegel unterhalb 60 dB(A) berücksichtigt werden, ein einzelner Wert als obere Grenze sei nicht ausreichend.

Maschke fragte zum Schluss, was die von den Gutachtern erwähnte "objektive Erkenntnissicherheit" denn sein solle, nirgendwo seien Kriterien genannt. Es dränge sich auf, dass die Bewertungsmaßstäbe nachträglich hinzugefügt worden seien, um einen wissenschaftlichen Anschein zu erwecken. Diese Fragen könne man jetzt klären, dies sei die erste Gelegenheit, dass die 4 an der Synopse beteiligten Wissenschaftler für eine öffentliche Auseinandersetzung zur Verfügung stehen würden. Wie es sich jetzt darstelle, dürften die genannten Orientierungswerte zum Schutz des Schlafs nicht verwendet werden, weil sie nicht den wissenschaftlichen Anforderungen entsprechen würden.

Jansen-Kriterium - was sagen die Fraport-Gutachter?

Danach durften die Fraport-Gutachter die Fragen von Maschke beantworten - große Spannung! Als erster antwortete Prof. Scheuch. Er sagte, die Werte für KTW und PRW seien Ergebnis "vielfältiger längerer Diskussionen". Man habe keineswegs versucht, nachträglich Bewertungsmaßstäbe einzubringen, sondern sich gefragt, wie man ein Ordnungsprinzip für die vorhandenen Daten einführen könne und wie man es beschreiben könne. Details seien in der Veröffentlichung nicht aufgeführt. Er warf Maschke vor, dieser habe 2 Modelle herausgegriffen und auseinander genommen oder nachgerechnet. Die Gutachter hätten aber eine Vielzahl von Veröffentlichungen betrachtet und auch nach anderen Kriterien ausgewertet, es gebe viele Schlafparameter. "6x60 dB(A)" gehe als Hauptkriterium von einer "erinnerbaren Aufwachreaktion" aus. Man habe dies mit anderen Kriterien (z.B. Cortisol-Modell, DLR-Studie) vergleichen. "An sich haben diese Studien höhere Werte ergeben. Wir wollten aber ein über Jahre verwendetes Kriterium nicht nach oben korrigieren." Dass das Gefährdungspotential bei 13x53 dB(A) höher sei als bei 6x60 dB(A), sei dadurch begründet, dass es hier um ein ganz verschiedenes Gefährdungspotential ginge (Aufwachen, Cortisolmodell).

Zu den verwendeten Qualitätssicherungen führte Scheuch aus, es gebe für experimentelle Untersuchungen allgemein akzeptierte Kriterien, die müsse man hier nicht diskutieren (Vergleichbarkeit, Plausibilität, ...) . Zum Griefahn-Modell sagte Scheuch: "Wir haben dieses Modell nicht zur Grundlage gemacht und keine Werte daraus abgeleitet". Man habe das Modell ebenso wie andere Modelle analysiert, es aber nicht zur Ableitung von Werten verwendet. Im Gutachten stehe bei der Kurve das Wort "exemplarisch".

Griefahn-Untersuchung - gar nicht berücksichtigt?

Auch Prof. Griefahn selbst nahm Stellung. Sie habe damals bei der Berechnung ihres Modells nur begrenzte Rechenkapazität gehabt, meinte sie. Maschke habe das jetzt, 25 Jahre später, nachgerechnet und dabei ein anderes statistisches Verfahren verwendet, das sei korrekt wiedergeben worden. Ihre Gerade habe bei 60 dB(A) geschnitten. "Jansen hat gesagt, dies sei eine theoretische Aufweckschwelle und hat dies als Obergrenze empfohlen." Das Kriterium 6x60 dB(A) liege auch im Bereich der DLR-Studie. Bei 68 dB(A) sei danach mit 10% Wahrscheinlichkeit mit einer Aufwachreaktion zu rechnen. Die von Maschke berechnete Kurve habe erst bei 80 dB(A) den Wert von 10% erreicht, "das wird Ihnen [den Einwendern] nicht gefallen". Zum Schluss startete Griefahn noch eine persönliche Attacke auf Maschke: "Sie haben gesagt, sie hätten auf meine Antwort gewartet. Ich wundere mich, dass Sie sich damit befasst haben, diese alten Daten zu analysieren. Hätten Sie Ihre Energie darauf verwendet, neue Daten zu untersuchen, hätten Sie sicher etwas ganz großes geschafft. Vielleicht wäre dann sogar die DLR-Studie überflüssig gewesen".

Herr Bach, gerade Sitzungsleiter, fasste zusammen: "Das Modell wurde gar nicht verwendet, "6x60" beruht nicht auf diesem Modell? Wo kommt 6x60 dann tatsächlich her?" Griefahn: "Wenn Punkte vom Modell abweichen, hätten Sie doch schließen können, dass wir dieses Modell gar nicht berücksichtigt haben". Bach: "Also sind Sie gar nicht berücksichtigt?" Griefahn: "Ja".
Prof. Jansen antwortete auf die Frage, wie man zu der "6" in "6x60" komme. Dies leite sich vom Begriff des "seltenen Ereignisses" ab. En seltenes Ereignis sei ein solches, dass den Organismus in weniger als 1% der Zeit belaste. Bei 30 Sekunden Dauer seien das am Tag 19 Ereignisse [Jansen-Kriterium am Tag: 19 x 99 dB(A)]. In der Nacht sei die Empfindlichkeit doppelt so groß, man nehme also 0,5% an. Experimentelle Ergebnisse sagten aus, dass bei 6 Fluglärmereignissen pro Nacht eine Aufwachreaktion zu verzeichnen sei. 60 dB(A) seien ein theoretischer Wert. Er habe deshalb weitere Forschungen angeregt, die DLR habe dies dann getan.

Prof. Scheuch sagte, die Kurve von Frau Griefahn wurde berücksichtigt, aber nur als eine unter vielen. Aus verschiedenen Wirkungssichten seien Werte zusammengeführt worden. Der KTW sei aus vielen unterschiedlichen Untersuchungen entstanden und sei auch gegen Griefahn geprüft worden. Die DLR-Studie folgere, ab 65 dB(A) könne erinnerbares Aufwachen eintreten. Beim KTW gelte nur das erinnerbare Aufwachen, nicht das im einem EEG sichtbare Aufwachen. Prof. Spreng erklärte, sein Cortisolmodell stamme aus der Idee, dass in der Schlafforschung bis dahin die vegetative Ebene nicht beachtet worden sei. Er habe wissen wollen, wie das vegetative System bei Fluglärmbelastung reagiere. "6x60" könne nicht auf seiner Kurve liegen, da hier ein ganz anderer Vorgang untersucht werde. Wenn der Wert unter seiner Kurve liege, folge daraus, dass das erinnerbare Aufwachen prioritär sei. Jeder Punkt auf der Kurve habe das gleiche Risiko. Die 53 dB(A) leiteten sich aus der "physiologischen Überreaktionsschwelle" ab. Auf die Frage vom RP-Tisch, wie diese Schwelle abgeleitet sei, sagte Spreng, bei 63 dB(A) am Tag seien messbare vegetative Veränderungen zu beobachten (z.B. Hautwiderstand ändert sich, Sättigungseffekte bei den Hörzellen). Man habe für die Nacht 10 dB(A) abgezogen, dort würden die Werte 10 dB(A) niedriger liegen. Mit der zusätzlichen Angabe eines Dauerschallpegels habe man verhindern wollen, dass zahlreiche "leisere" Flüge nach einem Aufwachen das Wiedereinschlafen verhindern.

Wo sind die Quellen?

Dr. Maschke fragte, wie man hier eine konkrete Diskussion führen könne, wenn die Quellen der "vielen analysierten Gutachten" nicht genannt würden. Wenn jemand die 900 Literaturangaben durcharbeiten wolle, brauche er Jahre. Wenn die Gutachter das getan hätten, könnten sie doch wohl sagen, auf welcher Untersuchung 6x60 dB(A) denn nun beruhe? Herr Bach (RP) meinte, er habe es so verstanden, dass es sich um eine Annahme handele, nicht um Herleitungen. Prof. Scheuch sagte daraufhin: "Wir kamen zu der Erkenntnis, dass der bisher verwendete Wert von 6x60 dB(A) nicht abgelehnt werden muss. Die "6" stammen aus Überlegungen von Herrn Jansen. Wir haben überprüft, ob diese Annahme von Jansen nach vorliegenden Untersuchungen abgelehnt werden muss. Es gibt nicht den Vorwurf, dass irgend etwas relevantes nicht berücksichtigt worden ist".

Herr Bach fasste zusammen, Maschke habe eine Antwort gesucht, wie 6x60 hergeleitet worden sei, und dazu zwei Möglichkeiten durchgespielt, diese hätten nicht funktioniert. Die Gutachter sagten, sie hätten auch andere Möglichkeiten untersucht, diese wären relevant. Maschke (sonst sehr friedlich) wurde daraufhin richtig böse: "Man kann auch mit Literatur zugemüllt werden. Welche der 960 im Literaturverzeichnis genannten Untersuchungen begründet das Jansen-Kriterium?" Es habe das Angebot gegeben, zu den Gutachten eine Literaturliste anzufordern. Ein Kollege habe das getan und darum gebeten, die Liste nach den betrachteten Kriterien aufzuteilen. Dies sei abgelehnt worden, weil es zu viel Arbeit mache. "Sie sagen, es steht alles im Gutachten. Wenn alles im Gutachten steht, streichen sie diese Stellen doch mit einem gelben Stift an!" Diese Forderung schien Herrn Bach einzuleuchten. Maschke äußerte sein Unverständnis darüber, dass im Gutachten die Kurven von Griefahn groß herausgestellt seien und jetzt sage man, das Griefahn-Modell spiele in den Aussagen des Gutachtens gar keine Rolle. "Ich führe doch nicht ein Modell in meinem Gutachten an, um nachher festzustellen, dass ich es gar nicht verwenden kann."

Viele Widersprüche

Zu Prof. Jansen sagte Maschke, die von Jansen erwähnten Langzeituntersuchungen seien mit 2 Studenten durchgeführt worden. Jansen solle diese Untersuchungen doch einmal vorstellen. Gegen Prof. Scheuch wandte er ein, dieser habe noch beim Planfeststellungsverfahren für den Flughafen Berlin-Schönefeld gesagt, das einzig Verlässliche beim Aufwachen seien EEG-Reaktionen, und deshalb die Kurve von Griefahn zugrundegelegt. Wieso er jetzt das Kriterium 6x60 auf das erinnerbare Erwachen gründe, es habe zwischendrin keine neue Veröffentlichung mit anderen Erkenntnissen gegeben.

Zu Prof. Spreng meinte Maschke, Spreng sage selber, sein Modell sei sehr vereinfacht. Es sei eine große Leistung gewesen, dass Modell überhaupt aufzustellen. Wieso die Gutachtergruppe das Modell jetzt aber als Basis von "gesicherten Erkenntnissen" nehmen würden, obwohl es doch grob vereinfacht sei, vestehe er nicht. Aus allen ihm bekannten Untersuchungen könne man nur ein Kriterium "13x53" ableiten. Nach seiner Ansicht gebe es auch unterhalb von Sprengs "Überreaktionsschwelle" schon vegetative Reaktionen, die man nicht einfach ignorieren könne. Darauf Spreng: Kritische vegetative Veränderungen unter 53 dB(A) sind nicht bekannt. Maschke blieb dabei, die Gefahr einer Gesundheitsgefährdung werde nicht erst an der Überreaktionsschwelle ausgelöst. Es reiche schon, wenn dauerhafte Störungen durch Veränderung der Schlafstadien auftreten würden. Im übrigen seien seine Fragen nach der Qualitätssicherung noch nicht beantwortet.

Welche Gutachten kommen in den Sack?

Herr Lurz (Fraport) wollte daraufhin nicht mehr antworten, weil schon alles beantwortet sei, Herr Bach versuchte zu bohren: ob die Untersuchung von Prof. Spreng denn Teil der Qualitätssicherung sei? Prof. Scheuch sagte dazu, es sei ein Kriterium, auch Basis des Cortisolmodells. Zum Vorwurf des "Zumüllens mit Literatur" meinte Scheuch, man habe ausdrücklich alle vorliegenden Untersuchungen berücksichtigen wollen, damit hinterher keiner den Vorwurf mache, man habe eine falsche Auswahl getroffen. Außerdem seien es nach Zusammenfassung der Teilgutachten nur noch 600 Untersuchungen. Es sei zuviel Arbeit, die Gesamtliste wieder nach Themen/Kriterien aufzudröseln. Man habe auch Qualitätssicherungskriterien gemacht. Eines sei, dass eine Studie nicht genüge. Wichtig sei auch die Spezifität der Wirkung. Da die Lärmwirkungen sehr unspezifisch seien, müsste man Ergebnisse dem Lärm zuordnen, das sei nicht einfach. Ein weiteres Kriterium sei gewesen, dass die Wirkungsmechanismen plausibel seien. Die bekannten statistischen Kriterien seien auch verwendet worden.

Maschke kritisierte die von Scheuch genannten Kriterien, dies seien Kriterien der Kausalität, nicht der Qualitätssicherung. Die "interne Validität" einer Studie sei Voraussetzung, damit man sie benutzen könne. Die Frage sei, ob das Ergebnis mach sauberen Methoden aus den Daten abgeleitet werden könne. "Ich packe doch auch nicht alle Literatur in einen Sack". Das eine Gutachten beruhe nur auf 2 Probanden, das andere auf einer großen Zufallsstichprobe. "Man muss Kriterien definieren für Studien, damit diese in den Sack hineindürfen." Am Modell von Griefahn habe er gezeigt, dass dieses nicht hätte in den Sack kommen dürfen, da es keine interne Gültigkeit habe [falsch sei]. Wie denn die Untersuchungen für den Sack geprüft wurden, wollte er wissen. Rechtsanwalt Fislake ergänzte, das Jansen-Kriterium sei von Jansen aufgestellt, dieser finde sich im Literaturverzeichnis auf den Positionen 231-239. Er solle sagen, aus welcher der aufgeführten Arbeiten sich das Kriterium ableiten lasse. Er habe gelernt, man dürfe in ein Literaturverzeichnis nur das aufnehmen, was auch verwendet werde. Fislake: "Maßstab sind die PFV-Unterlagen, nicht was irgendeinem Professor durch den Kopf geht".

Noch ein Versuch: wo kommt "6x60" her?

Rechtsanwalt Schmitz fuhr fort: "Wir müssen Ihnen also dankbar sein, dass Sie das Jansen-Kriterium nicht verschärft haben". Es stehe in der Synopse, der Schutz vor Aufwachen sei das primäre Schutzziel. Wenn das Jansen-Kriterium jetzt nicht aus Prof. Griefahns Kurve folge, worauf beruhe es dann? Auf dem Modell von Prof. Spreng ebenfalls nicht, denn das sei ja nur zur Kontrolle berücksichtigt: "Es ist völlig ungeklärt". Im Gutachten G12.1 werde ausführlich auf die Arbeiten von Griefahn eingegangen. "Da wurde etwas jahrelang mit Heiligenschein verkauft, jetzt heißt es plötzlich, es wird nicht mehr berücksichtigt". Es gehe hier um die gesamte Rechtsprechung zum Flughafen, ob das vielleicht das geeignete Verhalten sei? Prof. Jansen meinte, er bleibe bei "6x60". Dies decke sich mit Befunden aus Griefans Buch "Lärm und Schlaf" von 1984, dort gebe es 29 Literaturstellen. Eine Untersuchung davon führte er explizit aus. Dort habe man Menschen gefragt, wovon sie aufgewacht seien, Fluglärm habe erst an sechster Stelle gestanden. Maschke erhob allerdings dagegen Einspruch: die Ableitungen aus dieser Studie seien Schnee von gestern, es sei bekannt, dass man erst dann richtig wach wird, wenn das Flugzeug längst vorbei sei, und dann werde eine andere Ursache genannt, die gerade auffällt (z.B. Schnarchen des Ehepartners).

Prof. Scheuch nahm auch noch einmal Stellung. Es sei in Ordnung, Interpretationen nachzuschieben, wenn es neue Erkenntnisse gebe. Man habe "6x60" unter anderen Bedingungen geprüft: es sei um die Frage gegangen, ob dieses Kriterium heute noch vertretbar sei. "Ausgangspunkt war die Griefahn-Studie. Wir haben dann verschiedene andere Studien geprüft und kamen zu dem Ergebnis, der Wert könnte höher sein." Maschke meinte dazu, es genüge für solch ein Kriterium nicht, dass es irgendwo im Bereich anderer Studien liege, es könnte ja auch "6x59" oder "7x60" sein. Aufgabe der Wissenschaftler sei nicht, die Werte die Richter verwenden, zu nehmen und zu prüfen. Die Aufgabe sei es, aus dem lärmmedizinischen Wissen Grenzwerte abzuleiten.

Der Vertreter des Stadt Offenbach meinte an dieser Stelle, er habe immer noch nicht verstanden, wie die Sache mit Griefahn jetzt gelaufen sei. "Sie prüfen, ob ein Kriterium abgelehnt werden muss, das eigentlich noch gar nicht richtig bewiesen wurde? Bei der 100:100-Regel sagen Sie, es gebe keine gesicherte wissenschaftliche Grundlage, und Sie nehmen dafür Ihre Sigma-Regelung, die auch nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist". Nach dieser Kritik fragte er Prof. Griefahn, ob sie eine Bevölkerungsgruppe, die nicht an Lärm gewohnt sei, anders bewerte als eine, die dies gewohnt sei. Griefahn führte auf, beim Aufwachen gewöhne man sich schnell, beim EEG gewöhne man sich ebenfalls, bei vegetativen Reaktionen aber nicht. Eine schlagartige Lärmbelastung wirke also anders wie eine langsame.

Man muss auch weiter denken!

Frau Hensel, Ruhebeauftragte in Hattersheim, berichtete von den Ergebnissen einer aktuellen Tagung zum Thema Lärm. Sie regte an, neben den Dauerschallpegeln und Maximalpegeln weitere Parameter zu betrachten, wie Struktur des Lärms, Lärmpausen sowie Pegeldifferenzen. Die Forscher sagten, bei den Dauerschallpegeln habe man sichere Werte und ein Korrelation, das genüge aber nicht; man müsse auch weiter denken. Prof. Griefahn habe auf eben dieser Tagung gesagt, man müsse nicht warten, bis ein kausaler Zusammenhang zwischen Lärm und Schlafstörung bewiesen sei. Dies klinge jetzt im Gutachten ganz anders. Jansen und Maschke seien sich schon einmal begegnet, nämlich beim OVG Hamburg. Dort stehe im Urteil, es gebe einen Streubereich, der richtige Wert könne auch 6x53 sein. Mit dem Aufkommen der Synopse in 2002 sei es jetzt wieder "6x60".

Neben der wissenschaftlichen Diskussion hab es am Nachmittag zwei bemerkenswerte Beiträge von Privateinwendern. Die Einwender wurden im Laufe des Tages zwischen die Fachdebatte eingeschoben. Damit diese besser im Zusammenhang gelesen werden kann, haben wir die Beiträge der Privateinwender auf das Ende verschoben.

"Der Flughafen bestimmt, wo wir wohnen dürfen und wo nicht!"

Ein Einwender, Professor aus Darmstadt, sagte: "Mich amüsiert, wie mir hier vorgerechnet wird, wann ich gestört werden oder krank werden darf !" In Wirklichkeit fand er es aber gar nicht lustig, wie die anderen anwesenden Privateinwender auch - das Gefühl, dass sich hier die Wissenschaftler im Elfenbeinturm ohne Rücksicht auf die realen Empfindungen der Betroffenen an theoretischen Modellen austoben, hatten viele. Er fragte die Gutachter, wer von ihnen sich denn schon einmal eine Woche lang in einem fluglärmbelasteten Gebiet aufgehalten habe. Prof. Scheuch meinte, er habe Erfahrung mit Lärm (allerdings mit Gewerbelärm durch eine Markthalle). Der Einwender schilderte danach die Fluglärmbelastung, es gebe täglich 180 Überflüge mit 70-80 dB(A). Kommunikation sei bei 80 dB(A) nicht möglich. Das Frequenzspektrum der Flugzeuge und das ständige Auf und Ab des Lärms störe sehr, mache aggressiv, erhöhe den Blutdruck, beeinträchtige die Lebensqualität und mache letztlich krank

Der Einwender beantragte, im PFV-Beschluss müsste die Zahl der Flugbewegungen, die Flughöhe etc. festgelegt werden. "Keiner weiß hier, welche Flugroute er später abkriegt, und dann kann er sich nicht mehr wehren." Niedrige Überflüge über dicht besiedelte Wohngebiete seien menschenverachtend. "Man kann doch die Menschen nicht in schallisolierte Wohnkäfige sperren!" Weiterhin forderte er, besonders im Hinblick auf die Darmstädter Situation, alternierende Flugkorridore, Spreizung der Flugrouten und Verteilung der Belastung. Das Argument von Herrn Gaentzsch, man könne Flugrouten nicht im Planfeststellungsbeschluss festlegen, wollte der Einwender nicht akzeptieren. Er sei kein Jurist, aber es sei klar, dass man Lärm nur in Zusammenhang mit Flugrouten bewerten könne. Wie man das juristisch hinkriege, sei nicht seine Aufgabe: "Die Gesetze sollen die Menschen vor Übergriffen schützen. Die PFV-Behörde hat die Menschen vor Belastungen zu schützen. Wenn sie selbst finanziell am Flughafen beteiligt ist, ist keine neutrale Entscheidung möglich." Er forderte, den Lärm für 900 000 Flugbewegungen zu berechnen, Einzelschallpegel, Zeitabstand, Dauer, Frequenzgemisch und Anstiegsverhalten des Fluggeräuschs zu berücksichtigen. Viel Hoffnung machte er sich wohl nicht: "Nur mit einem neuen Fluglärmgesetz kann der Flughafenbetreiber in die Schranken verwiesen werden". In allen Bereichen würde versucht, die Umweltbelastungen zu reduzieren. Nur im Bereich des Luftverkehrs werde der Bevölkerung immer mehr zugemutet. Die Lobby habe erreicht, dass der Entwurf für ein neues Fluglärmgesetz die Interessen der Industrie erfülle. Der VGH Kassel habe entscheiden, dass Darmstadt geplante Baugebiete wegen des Fluglärms nicht realisiert werden könnten: "Der Flughafen bestimmt, wo wir wohnen dürfen und wo nicht".

"Meine Langzeit-Fluglärmerfahrung ist besser als Ihre ganzen Gutachten"

Ein Privateinwender, der auch in der medizinischen Forschung tätig ist, fragte nach der Berücksichtigung von Aufwachreaktionen bei 35 dB(A), wie sie in der DLR-Studie auch gefunden worden seien. Das Gutachten sei eine Super-Fleißarbeit (wenn diese auch wahrscheinlich von Doktoranden und Diplomanden gemacht worden sei), aber er frage sich, warum man so viel Aufwand für eine Meta-Meta-Studie betreibe (4 Professoren über 2 Jahre). Niemand kümmere sich um die Überprüfung an der Wirklichkeit. "Meine 15 Jahre Fluglärmerfahrung sind besser als Ihre ganzen Gutachten", sagte der Einwender. Aus den Gutachten würde folgen, dass heute schon stark belastete Wohngebiete überhaupt nicht betroffen seien. Damit sei die Studie bereits teilweise nicht valide. "Welche Hochschule kann es sich heute noch erlauben, solche Wissenschaftler zu beschäftigen", schimpfte er. "Ich wundere mich nicht, dass so viele Wissenschaftler in die USA auswandern".

Und die wenigen Einwender, die es bis zum Schluss ausgehalten hatten, wunderten sich am Ende des Tages auch nicht mehr.

Sprüche des Tages:

  • "Mich amüsiert, wie mir hier vorgerechnet wird, wann ich gestört werden oder krank werden darf."
    Kommentar eines Einwenders zur Diskussion der Gutachter
  • "Maßstab sind die PFV-Unterlagen, nicht was irgendeinem Professor durch den Kopf geht."
    Rechtsanwalt Fislake zu fehlenden Ableitungen im Gutachten G12.1
  • "Dieses Recht hat die Behörde nicht, zu sagen, Sie dürfen am Sonntag nicht auf Ihrer Terrasse sitzen und sich erholen."
    Privateinwender zur Frage, wieviel Fluglärm hinzunehmen sei
  • "Keiner weiß hier, welche Flugroute er später abkriegt, und dann kann er sich nicht mehr wehren."
    Berechtigte Beschwerde eines Einwenders zur Nicht-Behandlung von Flugrouten im PF-Verfahren
  • "Der Flughafen bestimmt, wo wir wohnen dürfen und wo nicht".
    Beschwerde eines Einwenders zum VGH-Urteil "Siedlungsbeschränkungen in Darmstadt"


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Lärmwirkungs-Forschung Erörterungstermin PFV Landebahn Nordwest Gesund­heits­gefah­ren durch (Flug-)Lärm Regierungspräsidium Darmstadt Jansen-Kriterium Landesentwicklungsplan Hessen (LEP)

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