Haben Sie sich auch schon darüber gewundert, dass so manche am Anfang gut gemeinte Gesetzesidee, die die Bürgerinnen und Bürger (oder Natur und Umwelt) vor Unbill schützen soll, als zahnloser Papiertiger endet? Oder im Laufe des Gesetzgebungsprozesses ganz unter die Räder gerät? Dass so manche EU-Richtlinie erst auf massiven Druck aus Brüssel hin umgesetzt wird - und dann schlecht? Beispiele gibt es viele: vom Strompreis über Gammelfleisch bis zum Fluglärm. Allen diesen Gesetzesideen ist eines gemeinsam: die Interessen der Bürger kollidieren mit den Interessen der Wirtschaft. Und wenn dabei, wie meistens, die Interessen der Bürger auf der Strecke bleiben, weiss jeder: da war die Lobby der Wirtschaft am Werk (die Bürger haben leider keine).
Lobbyismus ist nichts Neues. Aber der Einfluss der Wirtschaftslobby ist offenbar noch größer als bisher angenommen. Wie das Magazin "Monitor" kürzlich berichtete, treffen sich manche Lobbyisten nicht nur gelegentlich mit den Politikern, um ihre Anliegen vorzubringen. Einige große Wirtschaftsunternehmen haben auch Mitarbeiter abgestellt, die als "Leiharbeiter" in den Ministerien mitarbeiten - mit eigenem Büro und eigener Durchwahlnummer, Tür an Tür mit den Ministerialbeamten. Bezahlt werden sie von ihren Unternehmen. Auch bei der Vorbereitung und Formulierung von Gesetzentwürfen sind diese "Leihbeamten" beteiligt. 30 Beispiele hat Monitor in den letzten vier Jahren gefunden: beteiligt sind z.B. Daimler Chrysler, die Deutsche Börse, Verbände der Bauindustrie, die Stromerzeuger - und die Fraport AG, die DFS und weitere Luftverkehrsunternehmen.
Dass es hier Interessenkonflikte gibt, liegt auf der Hand. Schließlich bezahlen die Unternehmen die ausgeliehenen Mitarbeiter nicht aus Mildtätigkeit. Sie sollen die Unternehmen mit aktuellen Informationen aus den Ministerien versorgen und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Interessen ihrer Unternehmen im Gesetz gebührend berücksichtigt werden. Das gelingt meistens. Monitor nannte Beispiele, dass Passagen aus Papieren von Unternehmen direkt in Gesetze übernommen wurden.
Von Monitor befragte "normale" Beamte in den Ministerien wussten nichts davon , dass es Kollegen" gibt, die von Wirtschaftsunternehmen bezahlt werden.Selbst Bundestagsvizepräsident Thierse zeigte sich unangenehm überrascht. Ein Regierungssprecher wiegelte ab, es handele sich hier um ein "Austauschprogramm". Beamte, die im umgekehrten Austausch in Unternehmen mitarbeiten, wurden aber nicht gefunden. Was sollten die auch dort?
- Zur Monitor-Sendung vom 19.10.2006
Beitrag "Profitabel - wie die Industrie an Gesetzen mitstrickt"
"Lex Fraport" beim Fluglärmgesetz - nahm Fraport Einfluss?
Sie erinnern sich sicher: der am Anfang gar nicht so schlechte Entwurf des Umweltministeriums für ein neues Fluglärmgesetz scheiterte im ersten Versuch direkt am Einspruch der Luftverkehrslobby. Der zweite Entwurf des Bundesumweltministeriums war schon etwas verwässert, aber immer noch gerade so brauchbar. Dem Verkehrsministerium ging er (ebenso wie der Luftverkehrswirtschaft) jedoch viel zu weit. Eines Tages wurde plötzlich und unerwartet ein "Kompromiss" zwischen Umweltministerium und Verkehrsministerium verkündet, der nicht mehr die Bürger, sondern nur noch den Fluglärm schützt - und der zudem noch Elemente enthält, die direkt auf den geplanten Flughafenausbau in Frankfurt zugeschnitten sind ("Lex Fraport"). Hat Fraport - auf dem Umweg über das Verkehrsministerium - bei der wundersamen Veränderung des Gesetzes mitgewirkt? Ein Insider aus dem Umweltministeriums bestätigte in der Monitor-Sendung die massive Einflussnahme des Verkehrsministeriums auf den Entwurf.
Wie Monitor weiter berichtete, arbeitet ein Mitarbeiter der Fraport-Ausbauabteilung schon lange Zeit für das Verkehrsministerium und ist dort mit "luftverkehrsrechtlichen Fragen" befasst. Fraport-Sprecher Busch meinte dazu, das "Ministerium bediene sich des Sachverstands des Experten von Fraport". Dies sei etwas anderes als aktiv an Gesetzentwürfen mitzuarbeiten. Ob es wirklich etwas anderes ist? Mit dem Fluglärmgesetz sei der Mitarbeiter nicht befasst. Generell gab Fraport allerdings zu, "seit vielen Jahren mit dem Verkehrsministerium zusammenzuarbeiten". Da könne es schon einmal sein, dass Papiere des Ministeriums auf Arbeitspapieren der Fraport basierten.
Fraport wäre aber zur Beeinflussung des Fluglärmgesetzes gar nicht auf diesen speziellen Mitarbeiter angewiesen. Es gibt doch die Initiative Luftverkehr, ein Arbeitskreis bestehend aus Flughäfen, Lufthansa und DFS, unter der Schirmherrschaft des Bundesverkehrsministers. Hier wird die Luftverkehrsstrategie entschieden. Der "Masterplan" für die Entwicklung der Luftverkehrs-Infrastruktur wurde hier ausgearbeitet und von der Bundesregierung weitestgehend übernommen. Dass hier nicht darüber gesprochen wurde, wie ein der Luftverkehrswirtschaft genehmes Fluglärmgesetz aussehen soll, ist äußerst unwahrscheinlich! Die Bundesvereinigung gegen Fluglärm will nun Briefe an verschiedene prominente Persönlichkeiten schreiben, um auf den Einfluss der "Initiative Luftverkehr" aufmerksam zu machen.
Der Bürgermeister von Raunheim und Vorsitzender der Frankfurter Fluglärmkommission Jühe forderte einen sofortigen Stopp der Beratungen zum neuen Fluglärmgesetz, bis geklärt sei, wie die Luftverkehrslobby den Entwurf des Umweltministeriums verändert habe. Es sei ein Skandal, "dass ein sorgfältiges Abwägen von Interessen dadurch unterlaufen wird, dass die Lobbyisten der Großunternehmen die vom Bundestag zu beschließenden Gesetze selbst mit gestalten." Vier SPD-Abgeordnete aus der Region unterstützten mittlerweile dieses Anliegen.
- Fluglärmgesetz aus der Feder der Luftverkehrslobby
Pressemitteilung der Fluglärmkommission
Hessen: Fraport-Mitarbeiter entscheiden im Ministerium über Nachtflüge
Auch in Hessen wuchert der Filz. Zwei Von Fraport bezahlte Mitarbeiter sitzen als "Leihbeamte" im Verkehrsministerium. Sie entscheiden dort im Namen des Landes Hessen unter anderem über Ausnahmegenehmigungen bei Nachtflügen. Die Landesregierung bestätigte diese Praxis, fand sie aber völlig in Ordnung: dies werde schon seit vielen Jahren so gemacht. Am Rande: während des Erörterungstermins zum geplanten Flughafenausbau war kritisiert worden, dass die Ausnahmegenehmigungen wohl sehr großzügig gehandhabt werden, was Einwender durch Akteneinsicht in Wiesbaden herausgefunden hatten.
Das Bündnis der Bürgerinitiativen kritisierte, die Gewaltenteilung als Fundament der Demokratie sei außer Kraft gesetzt: "Fraport schreibt seine Gesetze selbst". In Hessen sei auch die Kontrolle der Gesetze schon in der Hand der Wirtschaft.
Die Grünen verlangten die Offenlage der personellen Verflechtungen zwischen Landesregierung und dem Flughafenbetreiber auch im Hinblick auf die anstehende Entscheidung des Ministeriums als Planfeststellungsbehörde für den geplanten Flughafenausbau. Der Parlamentarische Geschäftsführer Kufmann fragte, wie die Bürgerinnen und Bürger die Entscheidung der Behörde zum Ausbau akzeptieren sollten, wenn nicht klar sei, wie weit der Antragsteller darauf Einfluss genommen oder die Entscheidung gar selbst formuliert habe. Kaufmann wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Fraport die Einsicht in ihre Antworten auf die Einwendungen (CADEC-Datenbank) verweigere. Man wolle wohl verhindern, dass die Antworten der Fraport mit den späteren Ausführungen der Planfeststellungsbehörde verglichen werden könnten, argwöhnte er.
Weiterhin verlangten die Grünen eine sofortige Beendigung der Praxis, dass Fraport-Mitarbeiter über die Nachtflüge entscheiden. Kaufmann sprach von einem "grotesken Rechtsverständnis" der Landesregierung. Ein Bürger könne auch nicht selbst über seine eigene Steuererklärung entscheiden.
- BBI: MONITOR dokumentiert - Fraport schreibt Gesetze selbst
Pressemitteilung vom Bündnis der Bürgerinitiativen - Grüne: Gegen Amigos und Maulwürfe im Ministerium
2 Pressemitteilungen zur Lobbyarbeit beim Fluglärmgesetz und in Hessen
Wirtschaftsministerium, hessisches Bundes-Politik (Deutschland) Lobbyismus Landes-Politik Hessen Fraport AG Fluglärmgesetz Novellierung des Fluglärmgesetzes