Zu Beginn der Erörterung am 12.01.2006 wurde schweres Geschütz aufgefahren: die Stadt Offenbach und die von der Kanzlei Baumann vertretenen Kommunen und Einwender beantragten den Abbruch von Erörterung und Anhörungsverfahren. Andere Anwälte verlangten zumindest eine Pause von 3 Monaten vor der Nacherörterung. Am Nachmittag wurden die ersten 14 Ordner mit Stellungnahmen von Fachbehörden zur Einsicht aufgestellt. Ansonsten ging die fachliche Debatte um den Kelsterbacher Wald und die Bechsteinfledermaus.
Der Detail-Bericht umfasst nur die Zeit von 10:30 - 16:00. Falls wir noch mehr Material bekommen, wird er ergänzt.
Offenbach: Anhörungsverfahren abbrechen!
Die Erörterung begann an diesem Tag - wie schon zuvor in der Presse angekündigt - mit Ärger für das RP. Rechtsanwalt Geulen beantragte für die Stadt Offenbach den Abbruch der Erörterungstermins und die erneute Auslegung der Unterlagen. Die vorgetragenen Begründungen finden Sie in den Pressemiteilungen und den Anträgen. Geulen hatte schon am Vortag auf einer Pressekonferenz verkündet: "Das Verfahren ist geplatzt".
Auch die Kanzlei Baumann - die die Akteneinsicht durch ihre Klage erstritten hatte - stellte für die von ihr vertretenen Kommunen Weiterstadt, Erzhausen, Griesheim und Groß- Zimmern, die Bürgerinitiative Sachsenhausen und den kommunalen Unternehmen von Offenbach Anträge auf Abbruch des Verfahrens.
- Pressemitteilung der Kanzlei Baumann zum Antrag auf Abbruch des Verfahrens
- Pressemitteilung der Stadt Offenbach zum Antrag auf Abbruch des Verfahrens vom 11.01.2006
- Antrag der Stadt Offenbach auf Abbruch des Verfahrens (12.01.2006)
"RESET ist unsere Meinung"
Rechtsanwalt Schröder wiederholte nach Abstimmung mit seinen Mandanten seine Anträge. Die Nicht-Offenlegung der Akten sei ein Verfahrensfehler, der in der laufenden Anhörung nicht geheilt werden könne, deshalb müsste die Erörterung abgebrochen werden: RESET ist unsere Meinung, brachte er den Antrag auf den Punkt. Der VGH habe den Einwendern Akteneinsicht jetzt, im laufenden Anhörungsverfahren, zugesagt, die Kläger müssten nicht auf die Entscheidung inn der Hauptsache warten. Akteneinsicht wäre schon im September nötig gewesen. Schröder forderte vom RP: "Versuchen Sie jetzt nicht, das Recht auf Akteneinsicht zu vereiteln ... Wenn Sie unserem Antrag auf Abbruch nicht nachkommen, verlangen wir eine Pause nach der Erörterung um die Akten zu studieren. Wir erwarten in den Stellungnahmen nicht loses Geplapper, was man schnell lesen kann, sondern wir gehen davon aus, das die Stellungnahmen auch einen Inhalt haben. Wir müssen Zeit haben, diesen Inhalt auch zur Kenntnis zu nehmen, vielleicht brauchen wir auch Sachbeistände dazu. Bei einem Ende der normalen Erörterung Mitte März sollte es frühestens am 1. Mai weitergehen (höchst hilfsweise gesagt). Wir sind nicht auf Krawall gebürstet, aber wir halten das Verfahren für rechtswidrig, deshalb machen wir alle sachlichen Äußerungen nur unter Vorbehalt (Großbuchstaben und fett und unterstreichen fürs Protokoll!) und hoffen, dass das RP den Termin abbricht."
Versammlungsleiter Gaentzsch, schon zum Morgen genervt, bat darum, nicht alle Äußerungen zur Geschäftsordnung zu wiederholen, aber das war vergebens. Rechtsanwalt Scheitmann äußerte Verständnis, aber es hätten nun mal alle Einwender das Recht, ihre Einwendungen zu äußern. Er verkündete "wohlwollende Unterstützung" für die Anträge von RA Baumann&Co auf Abbruch des Verfahrens. Den Antrag, eine Auflistung aller relevanten Umweltdaten im Verfahren vorzulegen, machte er sich zu eigen. Man habe Schwierigkeiten zu verstehen, was nun genau vorgelegt werden solle, und die Selektion nachvollziehen können.
Wo sind denn nur die Fachbehörden?
Zum Thema nichtanwesende Fachbehörden meinte Scheidmann, die Behörde habe natürlich keine Zwangsmaßnahmen, um die Behörden zur Erörterung zu zwingen. Die Behörden hätten aber ihre Stellungnahmen im gesetzlichen Auftrag abgegeben und zur ordnungsgemäßen Erfüllung dieses Auftrags gehöre auch, die Stellungnahme zu erörtern. Das RP habe die Pflicht, unterhalb der Schwelle des Zwangs Maßnahmen zu ergreifen, um "pflichtgemäßes Verwaltungshandeln" zu gewährleisten. Er fragte, ob die Behörden schon hinreichend nachdrücklich zur Teilnahme aufgefordert worden seien. Herr Gaentzsch wusste es nicht, Scheidmann verlangte eine Antwort. Gaentzsch resigniert: "Sie haben die Frage gestellt und wir müssen sehen, wie wir damit umgehen".
Scheidmann mahnte dringenden Verbesserungsbedarf an, bis jetzt hätte das RP offenbar nicht genug getan, um die Behörden herzubringen. Auch die Fachbehörden beim RP würden nicht zur Erörterung ihrer Stellungnahmen zur Verfügung stehen, weil sie zur Unterstützung der Verhandlungsleitung auf dem Podium sitzen würden. Herr Gaentzsch meinte, "die Behörden sitzen dort", und zeigte auf die Einwender-Tische, dort habe man überall Schilder "Behörden" aufgestellt [Anmerkung: die Zahl der Behörden-Schilder auf den Tischen hat im Lauf der Zeit beträchtlich abgenommen, die Tische sind ja überwiegend von Anwälten, Kommunalvertretern und gewöhnlichen Einwendern besetzt]. Diejenigen, die oben sitzen, würden als Teil der Anhörungsbehörde (eine virtuelle Bündelung von zuständigen Behörden) dort sitzen und z.B. später den Anhörungsbericht schreiben. Es sei nicht Aufgabe der Mitarbeiter auf dem Podium, die Stellungnahmen zu vertreten. Ein Vertreter der Oberen Naturschutzbehörde sei ja anwesend (unter den Einwendern "unten"). Man könne im übrigen die Stellungnahmen der Behörden auch in seperaten Terminen erörtern. Die Äußerung erzeugte frustrierte Blicke und/oder ungläubiges Staunen bei den Anwälten. Rechtsanwalt Scheidmann schloss aus den Worten, die zuständige Fachbehörde sei also heute nicht da. Gaentzsch wies erneut auf den anwesenden Vertreter der Oberen Naturschutzbehörde hin. Ob dieser die Stellungnahme seiner Behörde vertreten könne und/oder wolle, wisse er nicht. Er habe nicht mit ihm gesprochen und könne ihn nicht zwingen.
Vertrauen gegen Null reduziert
Rechtsanwalt Fislake erinnerte daran, er habe einen Antrag auf Aussetzung des EÖT um 3 Monate gebeten, er erweitere das jetzt auf "mindestens 3 Monate". 150 Ordner zu je 500 Seiten machten 25000 Seiten. "Ein normal entwickelter Rechtsanwalt braucht 2,5 Minuten pro Seite. Rechnen Sie nur die Hälfte davon als relevanten Inhalt, dann habe ich ein ganzes Jahr damit zu tun". Eine solche Größenordnung habe es bisher in einem Planfeststellungsverfahren noch nicht gegeben: "Das Akteneinsichtsrecht muss hier anders behandelt werden als die Verbreiterung einer Nebenstraße". Fislake wunderte sich über das "extreme Schweigen" der Behörden. Beim Raumordnungsverfahren oder beim Planfeststellungsverfahren für die ICE-Strecke hätten die Behörden "unaufgefordert geredet und gestritten ohne Ende - nur hier nicht". Es komme hier darauf an, ob die Einwender Vertrauen hätten - und die seien hier äußerst skeptisch, ob das RP die Auswahl der Akten korrekt treffe. Als Anwalt, der der Schweigepflicht unterliege, müsste er auch Einsicht in private Einwendungen bekommen können. Eine Privateinwender hätten fachlich sehr substanzielle Daten eingebracht, die ihm unbekannt gewesen seien, wie z.B. private Lärmmessungen, die zu den Umweltdaten gehörten. Dies würde nicht für jede Privateinwendung zutreffen, aber vielleicht für jede achzigste. "Wir wissen nicht, wie Sie die Akten ausgewählt haben. Aber unser Vertrauen ist gegen Null reduziert." Deshalb verlangte Fislake eine Auskunft darüber, wo die Originalakten - und zwar bei den Ursprungsbehörden - seien und wann und wo er diese zur Überprüfung der Übereinstimmung mit den Kopien des RP einsehen könne.
Er habe gesehen, dass Lautsprecher in der Wandelhalle installiert worden seien, wo die Akten aufgestellt werden sollen. "Wenn die auch nur angeschaltet werden, protestiere ich", meinte er. Man könne nicht gleichzeitig die Akten lesen und über Lautsprecher der Anhörung folgen, meinte er. Die Idee, wegen der Lautsprecherübertragung zu folgern, es hätten ja alle Gelegenheit gehabt, trotz Aktenstudium an der Erörterung teilzunehmen, würde nicht funktionieren. Der HR (Hessischer Rundfunk), dem er auch nicht über den Weg traue, habe gesagt, das Ministeriums habe allein das RP für die Akteneinsicht als zuständig erklärt. Der Regierungspräsident verweigere den Einwendern die ihnen zustehenden Rechte, schimpfte er. "Ein Strafrechtler hat mit gesagt, bei dieser Verfahrensführung hier wäre selbst der kleinste Münzdelikt längst geplatzt. Rechtsanwalt Geulen hat heute morgen gesagt, das Verfahren fährt vor die Wand und er hat Recht, eine weitere Diskussion hat keinen Sinn. Sagen Sie Herrn Dieke, man sieht sich zweimal im Leben, virtuell einmal davon in Leipzig". Der angesprochene Herr Gaentzsch begrüßte es, dass es keine Geschäftsordnungsdebatte mehr geben solle und meinte zu Fislake: "Für 1300 Ordner brauchen Sie 8 Jahre". Fislake nahm den Scherz gelassen.
Die Vertreterin des Kreises Groß-Gerau wiederholte den Antrag des Kreises auf Abbruch, hilfsweise Aussetzung, des Verfahrens. Von Seiten des Kreises würden Fachbehörden teilnehmen und etwas zu den ihren Stellungnahmen sagen. Herr Faulenbach da Costa ergänzte zur Geschäftsordnungsdebatte, er habe schon bemerkt, dass Redebeiträge von Einwendern mit dem Hinweis darauf unterbrochen worden seien, dies sei schon erörtert worden, deshalb könne man nicht einfach von der Erörterung wegbleiben und die Akten lesen. Zu Beginn habe das RP zur Begründung seiner Ablehnung der Akteneinsicht gesagt, dass die Behörde nicht gleichzeitig die Akteneinsicht organisieren und die Anhörung durchführen könne: "das gleiche verlangen Sie jetzt von uns! So kann man nicht mit uns umgehen."
An dieser Stelle wurde Mittagspause gemacht. Auf die Frage, wann denn die Abbruchanträge entscheiden würden, meinte Verhandlungsleiter Gaentzsch, er wisse es nicht. Es würde nicht die Verhandlungsleitung, sondern die Behörde entscheiden. Dies wiederholte er auch gegenüber der Presse, wie man am folgenden Tag dort nachlesen konnte.
Bechsteinfledermaus im Kelsterbacher Wald
Nach der Pause wurde die Debatte mit dem Punkt 8.2, Unterpunkt 8.2.1: FFH-Gebiete, Kelsterbacher Wald, fortgesetzt. Dabei wurde die Diskussion über die Bechsteinfledermaus vom Vortag fortgesetzt, vermischt mit Fragen der Walderhaltung überhaupt: ohne Wald natürlich auch keine Fledermaus. Die fachliche Debatte ist für den Laien schwierig zu bewerten, wir geben sie wieder, so gut wir es verstanden haben, ohne Gewähr.
Als erster nahm Fraport-Gutachter Müller-Pfannenstiel Stellung zu vorhergehenden Äußerungen vom BUND zur Frage, ob der Kelsterbacher Wald ein Paarungsgebiet für Bechsteinfledermäuse sei. Für die Frage des Alternativenvergleichs sei es wichtig, ob der Kelsterbacher Wald nach dem Ausbau noch FFH-würdig ist oder nicht. Nach der Erfassung der Zahl der Bechsteinfledermäuse des Senckenberg-Instituts (Mai 2000 - September 2001) wurden in dieser Zeit 4 Fledermäuse gefangen und keine Paarungsaktivitäten beobachtet. Im Gutachten der Stadt Kelsterbach sei von 2 gefangenen Fledermäusen die Rede. Die Einzeldaten aus 24 Flugnachweisen seien in diesem Gutachten kumuliert worden, was die Daten nutzlos mache. Die Frage, ob es jetzt 4 oder 6 Tiere gebe, solle anhand der Daten aus der Grunddatenerfassung überprüft werden, Fraport gehe von 4 Tieren aus. Man stelle das Kelsterbacher Gutachten nicht in Frage, aber die Bewertungsaussagen sehe man kritisch. Im Kelsterbacher Gutachten stehe auf S. 34, der Kelsterbacher Wald sei als Paarungsgebiet wichtig. Man habe aber bisher weder Weibchen noch Jungtiere dort gefunden, es gebe nur Männchen. Bei der FFH-Prüfung seien Erhaltungsziele zu prüfen, ein solches Erhaltungsziel als Paarungsgebiet gebe es hier nicht. 3 Quartiere der Tiere würden direkt von der Landebahn betroffen (durch Vernichtung ihrer Wohnbäume). Die Frage sei, ob die verbleibende Teilwaldfläche im Norden der Landebahn noch genügend Lebensraum für diese Tiere biete. Wenn ja, seie das Gebiet weiter "FFH-würdig", davon gehe Fraport aus.
Das RP bemerkte hier einen fachlichen Dissens und wollte die Diskussion eigentlich beenden. Herr Norgall (BUND) sagte, die Kernfrage sei, ob der nach einem Ausbau verbleibende Teil des Kelsterbacher Waldes noch ein geeigneter Lebensraum für die Tiere wäre. Die Männchen hätten Zusammenhang mit anderen FFH-Gebieten der Gegend, dies habe Fraport in anderen Verfahren auch so gesehen. Erst einmal müsste man sich fragen, was überhaupt aus dem Restwald würde, dann könne man die FFH-Frage stellen. Laut Senckenberg seien Aussagen zur Größe von Populationen nicht möglich (BUND-Einwendung S. 174), sodass man nur schwer sagen könne, ob in dem kleinen Gebiet noch ein funktionierender Lebensraum existiere. Aus der Existenz einer kleinen Fledermaus-Kolonie in Würzburg könne man nicht schließen, dass die Tiere auch hier leben könnte. Zudem sage Fraport an anderer Stelle, der Wald sei schon zu stark vom Verkehr gestört, um Junge aufziehen zu können. Er wies auf den Widerspruch hin, dass Fraport an dieser Stelle die Daten der Grunddatenerhebung verwenden wolle, aber nur hier, sonst nicht.
Rechtsanwältin Philipp-Gerlach (BUND), die gerade einen Schriftsatz als Folge des A380-Verfahren bearbeitet, sagte sie habe bei Aufarbeitung des Gutachtens G1 aus diesem Verfahren einen Hinweis gefunden, dass auch Maßnahmen im Schwanheimer Wald bei der Bechsteinfledermaus als Ausgleich zählen sollen. Wegen des Fehlens von Wochenstuben im Schwanheimer und im Kelsterbacher Wald müssten die 4 Männchen im Kelsterbacher Wald Teil einer größeren Population sein. Sie fragte Frau Ohl, Spezialistin auf dem RP-Podium, nach einer Erklärung, die diese im Moment noch nicht geben konnte. Für den Anhörungsbericht müssten die Gutachten nochmals abgeglichen werden. Fraport-Gutachter Müller-Pfannenstiel sah hier keinen Widerspruch. Es gebe einen Austausch zwischen den FFH-Gebieten, dies habe Fraport nicht bestritten. Selbst wenn die 4 Männchen beeinträchtigt würden, sei die Auswirkung auf die Population im Umkreis des Flughafens nicht klar. Der Gebietsschutz setze nicht an der "Metapopulation" an, sondern an der Einzelpopulation.
"Es ist niemand zum Erörtern von Detailfragen da"
Philipp-Gerlach beklagte sich, die Spezialistin des RP dürfe wegen der Neutralität nicht antworten, ob der anwesende Vertreter der Oberen Naturschutzbehörde antworten könne. Dieser wies auf einen Hinweis auf Seite 32 unten in der Stellungnahme seiner Behörde hin, konnte aber im Detail auch nichts dazu sagen, da er nur für die übergreifenden Aspekte zuständig sei. "Dahin wollte ich kommen", kritisierte Philipp-Gerlach, "es ist niemand da, mit dem ich diese Detailfrage erörtern kann". Dies sei ein weiterer Anhaltspunkte für einen Verfahrensfehler. Das Recht auf substanzielle Erörterung werde abgeschnitten. Sie machte gleich geltend, diesen Punkt nach der Akteneinsicht in der Nacherörterung nochmals zu diskutieren und beantragte, dass wenigstens dann jemand von der Fachbehörde zur Verfügung stehen solle.
Einen ähnlichen Dissens zwischen den Behörden und dem BUND über die Beeinträchtigung geschützter Tiere habe es schon beim A380-Verfahren gegeben, das Gericht habe schliesslich aufgrund der Arbeit des BUND ergänzende Auflagen zum Planfeststellungsbeschluss bezüglich der Ausgleichsmaßnahmen gemacht. Bis heute gebe es keine Kohärenz-Ausgleichsplanung, wegen der Beeinträchtigungen im Mark- und Gundwald gebe es noch keinen ergänzenden Planfeststellungsbeschluss. Fraport meinte, wenn der BUND in diesem Punkt Recht bekommen hätte, heiße das noch lange nicht, dass er auch hier Recht haben würde. Beim A380-Verfahren sei die Grunddatenerfassung noch nicht bekannt gewesen, es gebe keinen Widerspruch. Ein genetischer Austausch zwischen Teilpopulationen sei etwas anderes als ein regelmäßiger Austausch. Wenn einzelne Tiere wechselten, würde noch keine Paarungsgebiet entstehen.
Der Restwald - groß genug für die Fledermäuse?
Herr Norgall erläuterte, Bechsteinfledermäuse seien relativ ortsfest und wechselten nur zwischen Winter- und Sommerquartier (maximal 30 km, was sehr wenig sei), wahrscheinlich wechselten sie hier gar nicht, sondern blieben im Winter. Die Jagdreviere der Männchen seien mit 0,1-0,4 ha sehr klein. Der Waldbestand müsse eine hohe Qualität haben, damit die Tiere dort genug zu fressen finden würden. Einen Austausch zwischen Schwanheimer Wald und Kelsterbacher Wald gäbe es auf keinen Fall. Wenn überhaupt, müssten Weibchen in den Kelsterbacher Wald hineinfliegen. Ob es dort überhaupt Weibchen gebe? Nein, meinte die RP-Expertin und wollte die Diskussion erneut abbrechen, es gebe Diskrepanzen und man müsste alle Daten nochmals sichten. Norgall beschwerte sich, immer wenn im Verfahren etwas ungünstig aussehe, werde ein neues Gutachten in Auftrag gegeben. Wenn im Schwanheimer Wald keine Weibchen seien, bleibe noch der Mark- und Gundwald, dies müsse man dann beim Schutz dieses Gebietes besonders betrachten. Er ärgerte sich, dass das RP nicht einfach sage, was man zur Situation im Schwanheimer Wald wisse. Das RP zitierte daraufhin einige Sätze aus der Grunddatenerfassung.
"Wortreich verklausuliert Positionen geräumt"
Rechtsanwalt Fislake fragte, was Herr Müller-Pfannenstiel für eine Funktion habe. Auf den Gutachten sei immer nur von ARGE/Baader/Bosch die Rede. Müller-Pfannenstiel sagte dazu, er sei Geschäftsführer der genannten Firma. Fislake beschwerte sich über den Tonfall des Fraport-Gutachters gegenüber dem BUND, beobachtet am Vorabend nach Ende der Erörterung. Fraport habe heute "wortreich verklausuliert Positionen geräumt", fuhr er fort. Am Dienstag habe Fraport gesagt, 90% der Naturschutzgebiete in Hessen seien kleiner als der verbleibende Teil vom Kelsterbacher Wald, also müsste es für 4 Fledermäuse reichen. Im Gutachten der Oberen Naturschutzbehörde würde dagegen bezweifelt, ob das Gebiet ausreicht. Außerdem würden die von Fraport vorgesehenen Maßnahmen dort als nicht ausreichend angesehen. Er wehrte sich gegen die Kritik der Fraport am Kelsterbacher Gutachten, die Gutachter seien dieselben, die auch die Grunddatenerfassung durchgeführt hätten. "Wenn Sie sagen, das Kelsterbacher Gutachten ist ein Parteigutachten, sollten Sie sich warm anziehen. So viele warme Sachen gibt es in Offenbach gar nicht!" Das Kelsterbacher Gutachten sehe erheblichen Aufklärungsbedarf und fordere weitere Untersuchungen. "Die PFV-Behörde muss diesen Hinweisen eigentlich folgen, es sei denn, sie lehnt den Antrag gleich ab."
Kleinkrieg unterlassen
Versammlungsleiter Gaentzsch mahnte, den Kleinkrieg zwischen Einwenderbank und Fraport zu unterlassen. "Parteigutachten" sei nicht negativ zu sehen, jedes Gutachten betone die Interessen des Auftraggebers. "Da ist nichts Unsittliches dabei". Gerichte würden auch Parteigutachten akzeptieren, wenn sie überzeugend seien. Rechtsanwalt Fislake ärgerte sich, dass bestimmte Verhaltensweisen von der Verhandlungsleitung nur bei ihm, aber nicht bei Fraport, bemängelt würden: "Es fällt schwer, bei bestimmten Dingen nicht aus der Haut zu fahren. Sie schauen herunter, mich sehen Sie, aber was so von der Fraport-Bank an nonverbaler Kommunikation geboten wird, sehen Sie nicht."
Fraport-Gutachter Müller-Pfannenstiel sagte zur Restflächendiskussion, man habe hier die Ergebnisse anderer Gutachten zusammengetragen. Fachbehörden könnten zu anderen Ergebnissen und anderen Bewertungen kommen. Das Kelsterbacher Gutachten habe wegen der Aussage zum Paarungsgebiet und der kumulativen Darstellung auf S. 24 methodische Fehler, man habe keine Zweifel gegen die Gutachter geäußert. Weiteren Untersuchungsbedarf sah Müller-Pfannenstiel nicht. Das RP meinte abschließend, der Dissens müsste geklärt werden. Und ausnahmsweise kam die Äußerung mal von Rechtsanwalt Fislake: "Ich bin anderer Meinung - die Planfeststellungsbehörde muss es entscheiden!"
Schäden an Waldrändern
Anschließend hielt ein Vertreter der Stadt Rüsselsheim einen Vortrag zum Thema, was mit dem Wald passiere, der als Hindernisfreiheitsfläche klassifiziert sei, weshalb die Bäume dort gekürzt werden müssen. Er erklärte, Wald benötige zur Entwicklung Windruhe, Feuchtigkeit und nicht zu extreme Temperaturen. 25 Jahre nach dem Bau der Startbahn West gebe es an der Ostseite immer noch fortschreitende Randschäden. Man finde dort viele neue Kulturen, weil die alten Bäume kaputt seien. Leider gebe es bisher kein Monitoring. Die Schäden reichten 200-250m in den Wald hinein. Sie kämen nicht von heute auf morgen, sondern würden langfristig fortschreiten. Am südexponierten Rand der neuen Landebahn seien die größten Schäden zu erwarten, bis hin zur Bestandsauflösung. Rindenbrand, Untersonnung, Aushagerung, Verunkrautung, Nährstoffauswaschung, Käferbefall und Sturmschäden seien zu befürchten. Zur Illustration wurden einige Bilder vom Wald am Rand der neuen ICE-Strecke gezeigt.
Im Entwurf zum Landesentwicklungsplan sei von "Funktionseinschränkungen des Waldes bis zu einer Tiefe von 300m" die Rede. Die Hindernisfreiheitsfläche sei 69 ha groß, davon 44 ha im Kelsterbacher Wald. Die vordersten Wälder hätten im forstrechtlichen Sinn keine Waldfunktion mehr. Die seitlichen Übergangsbereiche seien 300m breit. Dann kämen 120m, in denen die Baumhöhe auf 30m beschränkt wäre. Es wurde eine Karte gezeigt, in der die Situation an der Startbahn West auf die neue Landebahn projiziert wird. "Die ganze Landebahn wird von Baumleichen gesäumt werden". Fraport (Herr Ebert) sagte dazu, es gebe auch andere kaputte Waldflächen, die nicht am Rand einer Landebahn liegen würden. Viele Trockenjahre und der Schwammspinner hätten den Wald geschädigt. Man müsse sich auf die wissenschaftlichen Grundlagen zurückziehen. Die meisten Gutachten gingen von Randschäden von 70m aus, Fraport habe 100m angenommen. Fraport wolle die Waldränder unterpflanzen, um die Randeffekte zu mildern. Die 100m seien auch maßgebend für die Beeinträchtigungen der Lebensraumtypen. Wipfelköpfung sei bei Fichte und Kiefer sicher nicht sinnvoll, man werde den Wald deshalb umbauen [Bäume pflanzen, die das vertragen]. Es seien aber nach wie vor Bäume da und deshalb sei es auch Wald.
Waldschäden laufen davon
Der Vertreter der Stadt Rüsselsheim sagte dazu, der Schwammspinner könne erst so verheerende Auswirkungen haben, wenn der Wald schon massiv geschädigt sei. Fraport versuche im Gundwald schon seit Jahren Unterpflanzung. Diese müsste oft wiederholt werden und sei sehr schwierig. Man müsste 20-30 Jahre vor dem Vorhaben damit anfangen, damit man einen stabilen Zustand bekomme: "Nachher laufen die Waldschäden Ihnen davon". Die Bahn habe es schon fünf mal versucht, dennoch seien nur wenige der gepflanzten Bäume noch da. Rechtsanwalt Fislake beantragte, einen Vertreter von Hessenforst zum Thema zu höre und die Unterlagen zu "Waldumbaumaßnahmen an Bahngleisen" der DB Netz AG beizuziehen (die befassen sich mit dem Thema wegen der Gefahr, dass Bäume auf die Gleise fallen). Das RP kommentierte, es gebe zu Waldrandschäden viele Gutachten, die meisten würden von 100m ausgehen, es gebe aber auch 300m in Richtlinien des Landes. Die Planfeststellungsbehörde müsse es entscheiden, wem man folgen wolle.
Rechtsanwältin Fridrich fragte, ob Fraport sich an das Ergebnis der "Landesplanerischen Beurteilung halten wolle. Leider war keiner der Juristen von Fraport da, der hätte antworten können - sie hatten eine Besprechung. Fridrich bestand darauf, das RP sei in der Landesplanerischen Beurteilung von 300m ausgegangen, das Ministerium gehe beim Landesentwicklungsplan auch von 300m aus. Fraport müsse belegen, wieso man davon abweichen wolle. Das ginge nur, wenn es neue Erkenntnisse zur Situation in Rhein-Main gebe. Der externe Jurist der Fraport meinte schließlich dazu: "die Landesplanerische Beurteilung hält uns nicht davon ab, in einzelnen Fällen anderer Meinung zu sein. Wenn die PFV-Behörde das anders sieht, wird sie es uns sagen". Fridrich antwortete, das Ministerium könne unmöglich zwei verschiedene Werte nehmen. Dieses Problem sei beim Raumordnungsverfahren inhaltlich besonders genau ausgearbeitet worden. Versammlungsleiter Hoepfner kommentierte, Fraport sei eben der Auffassung, die Meinung von RP und Ministerium sei falsch. "An sich können sie ja guten Mutes sein, dass sich Ihre Auffassung letztendlich durchsetzen wird - zumindest bei der Anhörungsbehörde". Die Äußerung verursachte Gelächter im Saal.
An welcher Höhe wird aus Bäumen ein Wald?
Als nächstes ging es um die Höhe der Bäume in den Hindernisfreiheitsflächen. Herr Norgall erinnerte daran, Fraport habe im ROV gesagt, alles was auf 15m Höhe begrenzt würde, sei kein Wald mehr. In den PFV-Unterlagen komme dies nicht mehr vor. In diesem Moment kam Herr Vizthum, Fraport-Jurist, wieder hinter den Kulissen hervor. Er könne die Diskussion im Moment zwar nicht nachvollziehen, man stehe aber zu den Planfeststellungsunterlagen. Gutachter Müller-Pfannenstiel meinte, es komme darauf an, ob der Wald nach der Wipfelköpfung noch Lebensraumtyp sei oder nicht. Man würde für einen solchen Lebensraumtyp wohl kaum den Erhaltungszustand "A" entwickeln könne, aber "C" wäre schon möglich. Das RP fragte nach, wenn sich durch die Maßnahmen zur Hindernisfreiheit der Erhaltungszustand verschlechtere, was sei dann mit Flächen, die jetzt schon im Zustand "C" (schlecht) wären? Hier meinte Müller-Pfannenstiel, dies müsse man durch eine neue Grunddatenerfassung prüfen. Der BUND sah einen Widerspruch. Fraport sage, alles was auf 15m gekürzt sei, sei kein Wald mehr. Wo es keinen Wald gebe, sei aber auch der Lebensraumtyp weg, dieser sei an den Hochwald gebunden, oder - bei jungen Beständen - zumindest an die Möglichkeit, sich zu einem solchen zu entwickeln. Wenn ein Lebensraumtyp z.B. an die Buche gebunden sei, könne er auf Dauer mit einer Höhenbeschränkung nicht existieren - wenn man die Buche häufiger köpft, geht sie kaputt. Das RP meinte, der Dissens sei offenkundig.
Die ersten Akten werden aufgestellt
Kurz vor der Pause gab das RP dann die technische Regelung zur Akteneinsicht (Orte und Zeiten) bekannt. Die ersten 14 Ordner (von den angekündigten 150) wurden im Wandelgang (im ersten Stock über dem großen Saal) auf einer langen Tischreihe aufgestellt. In den 14 Ordnern sind die Stellungnahmen der Fachbehörden und der Kommunen, die "staatliche Aufgaben" erfüllen (z.B. als Naturschutzbehörde). Der Rest der "Verfahrensakte" soll in den nächsten Tagen geliefert werden. Alle Stellungnahmen gibt es auf Antrag ab Freitag auch auf DVD. Daraufhin stürzten sich die Anwesenden neugierig auf die Ordner. Der Regierungspräsident persönlich ließ es sich nicht nehmen, die bislang spärliche Aktengalerie zu inspizieren.
Nach der Pause gab es noch einige Nachfragen zu den Akten. Das RP betonte, es handele sich hier nur um die Umweltinformationen aus der Verfahrensakte, es sei also keine "klassische" Einsicht nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz. Das ausgehängte Inhaltsverzeichnis zeige die Akten einmal alphabetisch nach Behörde, einmal nach Ordner (aber nicht nach Themen geordnet). Andere Akten des RP zu Umweltinformationen (die nicht direkt Teil des Ausbauverfahrens sind), seien nicht enthalten und müssten seperat beantragt werden. Über die Frage von Rechtsanwalt Fislake nach Einsicht in die Originalakten sei noch nicht entschieden. Dagegen habe man die Anträge auf Einsicht in die "Stellungnahme" der Fraport bisher abgelehnt und tue das auch weiterhin. Auf eine pointierte Nachfrage präzisierte Herr Hoepfner, man habe die alten Anträge diesbezüglich abgelehnt und über die neuen vom Tage sei noch nicht entschieden. Über die Anträge auf Erstellung einer Liste mit allen vorhandenen Umweltinformationen mit Relevanz für den Ausbau habe man ebenfalls noch nicht entschieden. Über die Modalitäten der Nacherörterung soll in den nächsten Tagen entschieden werden.
Es schloss sich nochmals eine Diskussion an. Rechtsanwalt Schröder erinnerte daran, dass sich sein Antrag auf alle Umweltinformationen des RP beziehe, auch auf die "Gedankensplitter von Fraport", und verlangte eine Auflistung aller vorhandenen Umweltinformationen. Herr Gaentzsch meinte daraufhin ungläubig: "Sie meinen, die Behörde soll alle ihre Akten auf umweltrelevante Dinge durchsehen?" Schröder meinte, die Behörde müsste ja für das Verfahren gewappnet sein und deshalb müsse es eine solche Liste eigentlich geben. Er werde seinen Antrag noch konkretisieren. Rechtsanwalt Scheidmann beantragte prompt eine Einsichtnahme in die Verfahrensakte nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz. Dies sei früher wegen zu hoher Arbeitsbelastung der Behörde abgelehnt worden. Die Gründe seien jetzt entfallen, weil die Behörde die Akten sowieso durchsehen müsste.
Danach wurde die Debatte mit Fachfragen fortgesetzt.
Sprüche des Tages:
- "RESET ist unsere Meinung!"
Rechtsanwalt Schröder zum Antrag auf Abbruch des Verfahrens - "Wir erwarten in den Stellungnahmen nicht loses Geplapper, was man schnell lesen kann.
"
Rechtsanwalt Schröder zum erwarteten Inhalt der Akten - "Ein normal entwickelter Rechtsanwalt braucht 2,5 Minuten pro Seite."
Rechtsanwalt Fislake schätzt den Zeitbedarf zum Studium der Akten - "Wir wissen nicht, wie Sie die Akten ausgewählt haben. Aber unser Vertrauen ist gegen Null reduziert."
Rechtsanwalt Fislake, zur Auswahl der einzusehenden Akten durch das RP - "Wenn sie das meinen, sollten sie sich warm anziehen. So viele warme Sachen gibt es in Offenbach gar nicht!".
Rechtsanwalt Fislake zum Vorwurf der Fraport, das Kelsterbacher Fledermausgutachten sei ein "Parteigutachten"
Naturschutzgebiet Erörterungstermin PFV Landebahn Nordwest Umweltverträglichkeits-Prüfung (UVP) Regierungspräsidium Darmstadt Flora-Fauna-Habitat Richtlinie (FFH) Bannwald