Die Arbeitsgruppe Flughafen der Störfall-Kommission hält den Betrieb des Chemiewerks Ticona und das Ausbauvorhaben Landebahn Nordwest für unvereinbar. Nach ausführlicher Analyse und Beratung des Sachverhalts und der vorliegenden Gutachten hat die Arbeitsgruppe heute der Störfall-Kommission ein Votum mit folgendem Wortlaut empfohlen:
"Das Ausbauvorhaben Landebahn Nord-West am Flughafen Frankfurt/Main ist mit dem Betrieb der existierenden Anlagen am Standort Ticona nicht vereinbar. Die erwartete Störfallhäufigkeit durch einen Flugzeugabsturz sowie der damit verbundene Schadensumfang führen zu einem nicht akzeptablen Risiko. Daraus ergibt sich, dass die Gefahrenquelle Flugzeugabsturz am Standort Ticona gemäß § 3 Absatz 2 Nr. 2 StörfallV vernünftigerweise nicht auszuschließen ist. Die Planung der Landebahn Nord-West würde damit auch der Zielsetzung des Artikel 12 (1) Satz (c) Seveso-II Richtlinie (Richtlinie 96/82/EG) widersprechen."
"Die erwartete Störfallhäufigkeit durch einen Flugzeugabsturz sowie der damit verbundene Schadenumfang führen zu einem nicht akzeptablen Risiko", sagte der Vorsitzende der Kommission. Prof. Jochum. Nach den Gutachten müsste alle 25000 Jahre mit einem Absturz gerechnet werden, der zu einem schweren Störfall bei Ticona führt. Dann würde nach Meinung der Experten "das ganze Werksgelände hochgehen".
Jochum geht davon aus, dass die Störfall-Kommission selbst sich am 18. Februar dem Votum der Arbeitsgruppe anschließen wird. Die Empfehlung der Kommission wird dann an die Bundesregierung weitergeleitet. Sie ist aber nicht bindend, die letzte Entscheidung hat das Land Hessen.
Ministerpräsident Roland Koch bestätigte in Wiesbaden, die Risikobewertung der Störfall-Kommission sei kein Hindernis für die Ausbaupläne. Im Planfeststellungsverfahren stehe als letzte Möglichkeit auch die Schließung des Chemiewerks zur Verfügung, wenn das Ticona-Problem nicht durch Umbaumaßnahmen gelöst werden könne.
Fraport zeigte sich in einer ersten Reaktion von der Entscheidung der Kommission verwundert: "Die gegebene Begründung überzeugt nicht". Deshalb sieht der Flughafenbetreiber keinen Grund, seine Ausbauplanungen zu ändern. "Eine neue öffentliche Varianten-Diskussion wird es nicht geben", so Fraport-Sprecher Busch. Man werde im Planfeststellungsverfahren erneut darlegen, warum die Nordwest-Variante "unter Abwägung aller relevanter Kriterien die einzige geeignete Variante" sei.
Eine Enteignung der Ticona für den Flughafenausbau wäre nach dem Gesetz möglich. Allerdings wären Entschädigungen für das Grundstück, die Anlagen und die Vermögensschäden zu zahlen, die durch eine Schließung oder Verlagerung des Werkes entstehen würden. Zahlen müsste Fraport, also zu einem wesentlichen Teil der Steuerzahler. Die Entschädigung könnte mehr als eine Milliarde Euro kosten.
Ein Sprecher der Celanese, dem Mutterkonzern der Ticona, zeigte sich wenig beeindruckt von Kochs Ideen: "Eine Enteignung steht in unserem Rechtssystem vor unglaublich hohen rechtlichen Hürden. Wir sehen die Voraussetzungen für solche Enteignungsverfahren für nicht gegeben". Celanese plädiert für eine andere Ausbau-Variante, die die Zukunft des Werks nicht beeinträchtigt.
In der Tat wäre die Enteignung eines florierenden, zukunftssicheren Unternehmens mit mehr als 1000 meist hoch qualifizierten Arbeitsplätzen eine ziemlich spektakuläre Angelegenheit. Ein positives Signal für den Wirtschaftsstandort Rhein-Main wäre es ganz bestimmt nicht. Im Fall des Falles würde sich die Ticona den Umzug teuer bezahlen lassen. Und ob das Werk dann überhaupt im Rhein-Main-Gebiet wieder aufgebaut würde, steht in den Sternen - Europa ist groß und bietet viele geeignete Möglichkeiten.
Weitere Informationen zum Ticona-Risiko:
- Pressemitteilung der Störfall-Kommission vom 30.1.2004
- Koch: Landebahn wichtiger als Ticona
- Gutachten zum Ticona-Risiko im Internet
- Alle Beiträge zum Thema Ticona
Die Störfall-Kommission hat nur das Risiko bewertet, dass sich aus der Kombination von Ticona und geplanter Nordwestbahn ergibt. Weitere Risiken, z.B. durch das DEA-Tanklager oder das an dieser Stelle besonders hohe Risiko durch Vogelschlag, kommen hinzu:
Ticona Absturz-Gefahr Landebahn Nordwest Gefahren durch Flughafenausbau FRA Enteignung Koch, Roland (hessischer Ministerpäsident von 1999 bis 2010, …) Störfall-Kommission (SFK)