Ministerpräsident Roland Koch und der Hessische Landtag haben jahrelang die Bedeutung eines Nachtflugverbotes betont. Es wurde zugesagt, dass mit dem Ausbau eine Reduktion des nächtlichen Fluglärms verbunden sei. Auch der Antrag der Fraport AG zum Bau der neuen Landebahn enthält die Einführung eines Nachtflug-Verbots.
Trotz dieser Bekundungen enthält der Planfeststellungsbeschluss keine stärkere Nachtflugbeschränkung. Er erlaubt vielmehr in der Zeit von 23 bis 5 Uhr 17 planmäßige Flugbewegungen, in der Nacht von 22 h - 6.00 h sind statt bisher 130 jetzt 150 Flüge zugelassen. Diese Zahl bezieht sich zudem auf den Jahresdurchschnitt, was eine starke Konzentration zu bestimmten Zeiten ermöglicht.
Damit stellt sich die Frage, ob eine Anpassung des Planfeststellungsbeschlusses
- rechtlich möglich und
- sachlich geboten ist.
Beide Fragen sind – wie die folgenden Ausführungen zeigen – mit „Ja“ zu beantworten. Aussagen wie „Ein Nachtflugverbot kann die Landesregierung nicht mehr anordnen“ oder „Nur ein Gericht kann das entscheiden“ sind unzutreffend.
Eine nachträgliche Anpassung des Planfeststellungsbeschlusses ist nach § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG möglich. Danach kann ein Bescheid ganz oder teilweise widerrufen werden, „wenn die Behörde auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt wäre, den Verwaltungsakt nicht zu erlassen, und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet wäre“. Dazu bedarf es nicht des Antrags eines Betroffenen; der Amtsermittlungsgrundsatz verpflichtet die Behörde, auch von sich aus tätig zu werden. Der Behörde steht hier ein Ermessen zu, welches über die Klagebefugnis der Anwohner hinaus reicht: Unterliegen Anwohner vor Gericht, schließt dies nicht aus, dass die Behörde aus „öffentlichem Interesse“ tätig wird.
-
Eine nachträglich eingetretene Tatsache ist in der Veröffentlichung „Gesundheitliche Auswirkungen von Fluglärm“ im Deutschen Ärzteblatt zu sehen (siehe Anlage 1). Diese fasst neuere Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung zusammen, die - ausweislich der Aufstellung auf Seite 1020 des Planfeststellungsbeschlusses - von diesem nicht berücksichtigt wurden. Dies gilt sowohl für zumindest zwei Primärstudien als auch für die Publikation selbst.
Der Planfeststellungsbeschluss stützt sich gemäß Seite 1019 in lärmmedizinischer Hinsicht auf eine im Auftrag der Fraport AG erstellte „Synopse“ aus dem Jahr 2001, deren Ergebnisse im Jahr 2007 noch einmal bekräftigt wurden. Im Gegensatz zu dieser „Synopse“ hat die Veröffentlichung im Deutschen Ärzteblatt ein aufwendiges, sich über mehrere Monate erstreckendes "double-blind peer-review"-Verfahren durchlaufen. Es handelt sich mithin um eine qualitätsgesicherte Publikation auf aktuellem Stand.
Eine weitere, nachträglich eingetretene Tatsache ist, dass die Prognosen, mit welchen der Bedarf für einen Ausbau des Flughafens begründet wurden, aus heutiger Sicht unzutreffend sind. Die Prognosen gehen von einem Wachstum von 4 – 5 % aus. Dieses Wachstum sollte laut Antrag der Fraport auch vor dem Ausbau, also noch ohne neue Landebahn, zu realisieren sein. So ging das am 30.6.2004 vorgelegte Gutachten der Firma Intraplan für 2005 von einer Passagierzahl von 56,3 Mio. aus, tatsächlich waren es nur 52,2 Mio. Das reale durchschnittliche Wachstum in den Jahren 2000 – 2007 lag pro Jahr nicht bei 4 – 5 %, sondern bei 0,8 %. Für 2008 rechnet FRAPORT, trotz der im ersten Halbjahr noch bestehenden guten Konjunktur, sogar mit einem Rückgang um 1 – 1,5 %. Auch die im Jahre 2004 von der Fraport AG angegebene Passagierzahl von 70,7 Millionen, die im Jahr 2010 ohne Ausbau erreicht werden sollte, belegt, dass sich bisherige Annahmen zur Bedarfsentwicklung nicht aufrechterhalten lassen. Auch die im Jahre 2006 nachgebesserte Prognose der Firma Intraplan ist sowohl hinsichtlich der Annahmen als auch methodisch fehlerhaft (siehe Anlage 2: Stellungnahme zu G8 von Dr.-Ing. Georg Cichorowski).
Es ist aus heutiger Sicht in hohem Maße unwahrscheinlich, dass bei einem erneuten Anspringen der Konjunktur die früheren Wachstums-Prognosen erreicht werden. Die Annahme eines linearen Wachstums in der Größenordnung, wie sie dem Planfeststellungs-Beschluss zugrunde liegt, ist demnach unrealistisch.
Schließlich ist festzustellen, dass die unter der Wachstumsannahme gemachten Aussagen zu den Arbeitsplatzeffekten nicht haltbar sind. Sie basieren auf den fälschlich angenommenen Zuwachszahlen und wurden darüber hinaus von einem pluralistisch zusammengesetzten Expertenkreis als äußerst fragwürdig festgestellt. (siehe Anlage 3: Pressemitteilung vom 30.4.2008 zu den Arbeitsplatzprognosen).
Ergänzend zu den Ausführungen unter 2. a) ist festzuhalten: Die Lärmwirkungs- Forschung der letzten zehn Jahre hat in Bezug auf Gesundheitsgefahren neue Erkenntnisse gewonnen, die im Planfeststellungsbeschluss nicht berücksichtigt sind. Die Definition zulässiger Grenzwerte für nächtlichen Fluglärm hat sich am Aufwachen orientiert. Für die Frage der gesundheitlichen Beeinträchtigung ist dies unzureichend. Vielmehr nimmt das Ohr auch im Schlaf Sinneseindrücke wahr und leitet sie an das Gehirn weiter. Dadurch werden gesundheitsschädigende Reaktionen ausgelöst, wobei die infolge von Nachtlärm auftretenden chronischen Blutdruckerhöhungen erhebliche praktische Bedeutung besitzen.
Felduntersuchungen, das heißt Untersuchungen an Menschen in lärmbelasteten Gegenden, wie sie - im Gegensatz zu früheren Laboruntersuchungen - in den letzten Jahren vermehrt durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass Nachtlärm eine Zunahme von Bluthochdruck bewirkt. Neben der häufigeren Diagnose chronischer arterieller Hypertonie wurde auch die häufigere Verschreibung blutdrucksenkender Medikamente schon ab einem nächtlichen Lärmpegel von 45 dB(A) in nationalen und internationalen Studien zweifelsfrei nachgewiesen.
Eine Häufigkeitszunahme der chronischen Hypertonie hat beträchtliche Rückwirkungen auf die allgemeine Volksgesundheit, weil Bluthochdruck in Deutschland wie in allen hochzivilisierten Ländern weit verbreitet ist. Schon die Erhöhung des Blutdrucks um 10 mm Hg, wie sie in einer Bevölkerungsgruppe im Umfeld des Frankfurter Flughafens gemessen wurde, führt zu einer Verdoppelung der Häufigkeit von Schlaganfall und Herzinfarkt. Was das volkswirtschaftlich bedeutet, ist offensichtlich
Fazit: Eine Nachtflugbeschränkung unter das derzeit bestehende Ausmaß wurde zugesagt und ist aus medizinischer Sicht geboten. Weil diese Beschränkung im Planfeststellungsbescheid nicht enthalten ist, ist die Landesregierung verpflichtet, eine erneute Prüfung einzuleiten.
Die Rechtsposition der FRAPORT AG würde durch ein nachträglich angeordnetes vollständiges Nachtflugverbot nicht tangiert, da sie dies selbst beantragt hat. Die Interessen der Fluggesellschaften wiegen weniger schwer als die Gesundheitsbelange der Anwohner.
Die am 15.1.2009 veröffentliche Eilentscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs Kassel sieht sich das RMI in seiner Einschätzung bestätigt. Danach wäre schon zu dem Zeitpunkt, zu dem der Planfeststellungsbeschluss erlassen wurde, ein stärkerer Schutz der Menschen im Rhein-Main-Gebiet geboten gewesen.
Anlagen:
- Gesundheitliche Auswirkungen von Fluglärm
Deutsches Ärtzeblatt Jg. 105, Heft 31-32, 4. August 2008 - Stellungnahme zu Gutachten G 8 Luftverkehrsprognose von Dr.-Ing. Georg Cichorowski
- Ergebnisse des Konsensus-Workshops des RMI zur Arbeitsplatzprognose
Gesundheitsgefahren durch (Flug-)Lärm Rhein-Main-Institut Nachtflugverbot Planfeststellungsbeschluss zum Ausbau des Frankfurter Flughafens Herz-Kreislauf-Erkrankungen