Das Bundesverwaltungsgericht hat den Ausbau des Flughafens Berlin Schönefeld zum "Flughafen Berlin-Brandenburg International (BBI)" genehmigt. Die vier Musterklagen von Anwohnern und Gemeinden gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 13. August 2004 wurden überwiegend abgewiesen. Das Gericht lehnte die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses ab, gab den Klägern allerdings in einigen Hilfsanträgen recht, in denen besserer Lärmschutz gefordert wurde. So wurde ein Nachtflugverbot von 0-5 Uhr angeordnet.
Das Urteil
Das Gericht sah sowohl die Entscheidung, die drei Berliner Flughäfen durch einen einzigen Flughafen zu ersetzen als auch die Entscheidung für den Standort Schönefeld - festgelegt im Landesentwicklungsplan Flughafenstandortentwicklung - für zulässig an. Die in der Landesplanung angeführten Hauptgründe für den Standort Schönefeld - die Nähe zur Stadt Berlin, die gute Verkehrsanbindung und das größerere wirtschaftliche Entwicklungspotential - rechtfertigten das Vorhaben, meinte das Gericht. Dies gelte auch dann noch, wenn an einem stadtfernen Standort wie dem von den Klägern favorisierten Sperenberg viel weniger Menschen vom Lärm betroffen wären. Das Bundesverwaltungsgericht folgte damit nicht dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Brandenburg vom 10. 02. 2005, das die Festlegung des Standorts Schönefeld im "Landesenwicklungsplan Flughafenstandort" wegen Abwägungsfehlern für unwirksam erklärt hatte.
Beim Lärmschutzkonzept sah das Bundesverwaltungsgericht dagegen erhebliche Defizite und verlangte eine Planergänzung. Insbesondere beim unbeschränkten Nachtflugbetrieb sah das Gericht einen Abwägungsfehler. Bei einem von Siedlungsflächen umgebenen Flughafen überwiege "zumindest in der Kernzeit von 0 bis 5 Uhr das Interesse der Anwohner, von Beeinträchtigungen durch Fluglärm verschont zu bleiben". In den Randzeiten (22 - 24 Uhr und 5 bis 6 Uhr sei "nur der Flugbetrieb unbedenklich, der sich aus nachvollziehbaren Gründen nicht innerhalb des Tagzeitraumes abwickeln lässt" - so die Formulierungen aus der Pressemitteilung zum Urteil. Der Vorsitzende Richter Paetow erläuterte bei der Urteilsverkündung, die Dringlichkeit für Nachtflüge sei nicht hinreichend begründet worden, außerdem müsse wegen der zu erwartenden Lärmbelästigung am Tage "wenigstens in den Nachtstunden Ruhe einkehren". Ein 24-Stunden-Betrieb sei nur in siedlungsarmen Gebieten noch vertretbar, sagte der Richter und verwies auf vergleichbare Regelungen in anderen europäischen Ländern. Die Zeit zwischen 0 und 5 Uhr sei daher "weitgehend frei von Flugbewegungen" zu halten. Für einen Flugbetrieb in den Stunden nach 22 Uhr und vor 6 Uhr seien gute Rechtfertigungen nötig. Der Flughafen hatte etwa 100 Flüge pro Nacht geplant, die weitaus meisten davon in den Tagesrandzeiten.
Beim Lärmschutz verlangte das Gericht außerdem eine Festlegung der zulässigen Maximalpegel für die Randzeiten der Nacht und Verbesserungen bei Entschädigungen für Außenwohnbereiche (hier war von einem Grenzwert von 62 dB(A) statt wie vorgesehen 65 dB(A) die Rede). Ansonsten fand das Gericht beim Lärmschutzkonzept keine Beanstandungen.
- Bundesverwaltungsgericht: Grünes Licht für Flughafen Berlin-Schönefeld
Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.03.2006
Zur Erinnerung das Lärmschutzkonzept aus dem Planfeststellungsbeschluss in Stichworten:
- Tagschutzgebiet Dauerschallpegel 60 dB(A), Nachtschutzgebiet Dauerschallpegel 50 dB(A) oder 6 x 70 dB(A) außen pro Nacht.
- Schutzbedürftige Einrichtungen wie Altenheime und Schulen Dauerschallpegel 40 dB(A) innen, Krankenhäuser 38 dB(A) innen tags und 32 dB(A) nachts.
- Entschädigung ab einem Dauerschallpegel von 65 dB(A), etwa 4000 Euro pro Einfamilienhaus.
- Alle Dauerschallpegel Realverteilung, also gemittelt über die 6 verkehrsreichsten Monate und beide Betriebsrichtungen, die Einzelschallpegel gelten pro Nacht.
- Schallschutzeinrichtungen sollen sicherstellen, dass keine Maximalpegel über 55 dB(A) innen bei geschlossenen Fenstern auftreten.
Nach dem nicht mehr anfechtbaren Urteil will die Flughafengesellschaft nun zügig mit dem Ausbau fortfahren. 2011 soll der neue Flughafen mit einer Kapazität von 22 Miliionen Passagieren in Betrieb gehen. Die anderen beiden Flughäfen - Tegel und Tempelhof - sollen spätestens bis dahin geschlossen werden.
Erste Reaktionen in Berlin
Die bei der Urteilsverkündung anwesenden Kläger, die nun Opfer des Fluglärms werden sollen, machten einen ziemlich geschockten und deprimierten Eindruck - das Nachtflugverbot ist für sie kaum ein Trost. Hier ein hervorragender Stimmungsbericht:
Wolfgang Baumann, einer der Anwälte der Kläger bedauerte, "im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts seien Grundrechte auf Gesundheit und Eigentum in den Hintergrund gerückt worden". Bevor entschieden wird, ob es Sinn macht, deswegen vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, soll die schriftliche Urteilsbegründung abgewartet werden. Das weitgehende Nachtflugverbot wertete Baumann als großen Erfolg für die Kläger. Die Berliner Bürgerinitiative BVBB (Bürgerverein Berlin-Brandenburg) meinte, die Lärmschutzauflagen seien für die Kläger ein gewisser Erfolg, für den geplanten Flughafen jedoch eine wirtschaftliche Katastrophe. "Dies wird niemals ein wirtschaftlicher Airport", sagte der Vorsitzende Ferdi Breidbach. Das sei der Preis für den ungeeigneten Standort. "Der immer wieder herbei geredete und herbei geschriebene Wirtschaftsaufschwung in der Region durch den Bau des BBI wird sich als laues Lüftchen erweisen".
Politiker aller Parteien in Berlin lobten das Urteil in den höchsten Tönen. Bundesverkehrsminister Tiefensee trat gemeinsam mit dem Brandenburger Ministerpräsidenten Platzeck und dem Berliner Regierenden Bürgermeister Wowereit vor die Presse. Wowereit nannte den Bau des neuen Flughafens einen "Meilenstein für die wirtschaftliche Entwicklung Ostdeutschlands" und freute sich auf 40000 Arbeitsplätze, die in Schönefeld entstehen könnten. Bundeskanzlerin Merkel freute sich ebenfalls, aber zurückhaltender: der BBI sei für die Entwicklung der Hauptstadtregion "von großer Bedeutung". Platzeck sprach von der "wichtigsten Entscheidung für die wirtschaftliche Entwicklung der Region seit der Wiedervereinigung". Auch Vertreter der Wirtschaft jubelten. So sagte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) Thumann, es sei "für ganz Deutschland ein guter Tag, wenn ein solches Leuchtturmprojekt realisiert werden kann". Die "Initiative Luftverkehr" begrüsste die Entscheidung des Gerichts und freute sich über die ersten Ergebnisse ihres Engagements für den Luftverkehrsstandort Deutschland (d.h. Ergebnisse ihrer LObbyarbeit) [ -> Pressemitteilung der "Initiative Luftverkehr"].
Reaktionen in Frankfurt
Fraport wertete das Urteil als Bestätigung für ihre Ausbaupläne. "Wir fühlen uns bestärkt durch die heute bekannt gewordenen Darlegungen des Bundesverwaltungsgerichts. Sie bedeuten unseres Erachtens auch Rückenwind für den bedarfsgerechten Ausbau des Flughafens Frankfurt", sagte Fraport-Vorstandsmitglied Schölch.
Die hessische Landsregierung sah das Urteil ebenfalls als Bestätigung ihrer Politik. Regierungssprecher Metz meinte, das Urteil bestätige die Haltung von Ministerpräsident Koch über die rechtliche Durchsetzbarkeit eines Nachtflugverbots und helfe dem gesamten Luftverkehrsstandort Deutschland, für den Frankfurt die wichtigste Drehscheibe bleibe. Prof. Wörner, Vorsitzender des RDF (Regionales Dialogforum), sah in dem Urteil einen "riesigen Schritt zu einem Nachtflugverbot in Frankfurt" und eine Bestätigung für den Weg der Mediation. Auch das Frankfurter Nachtflugverbot werde vor Gericht Bestand haben, meinte Wörner.
Auch einig Ausbaugegner freuten sich über das Nachtflugverbot in Berlin und sahen darin ein Indiz, dass ein Nachtflugverbot machbar sei. Generell wurde das Urteil jedoch eher skeptisch gesehen. Die Bundesvereinigung für Fluglärm sagte, die maßgebliche Fragestellung, wie nahe Flughäfen an Siedlungsgebiete heranrücken dürften, sei nicht geklärt worden. Rechtsanwalt Schröder, der im Frankfurter Verfahren betroffene Kommunen vertritt, antwortete auf einer Veranstaltung in Hattersheim auf die Frage, was man nach dem Berliner Urteil in Frankfurt zu erwarten habe: "Nichts Gutes. Das Pendel schlägt eindeutig Richtung freier Flugverkehr aus".
Streit ums Nachtflugverbot
Kaum war die erste Freude über die Zulassung des Ausbaus verflogen, zeigte sich bei einigen Fluggesellschaften der Katzenjammer über die verfügten Einschränkungen für Nachtflüge. Dabei standen besonders die (noch unklaren) Regelungen für die Nachtrandzeiten von 22-2 Uhr und von 5-6 Uhr im Zentrum der Kritik. Die Fluggesellschaft Air Berlin meinte, mit den Nachtflugbeschränkungen könne man nicht leben und stellte die Stationierung ihrer Flotte in Berlin in Frage: "Wenn es bei den Nachtflugbeschränkungen für BBI bleibt, sollte man ernsthaft überlegen, ob die Beibehaltung des Status quo nicht besser für Berlin wäre. Das heißt: Verzicht auf BBI und modularer Ausbau von Tegel und Schönefeld", sagte ein Sprecher der Fluggesellschaft. Air Berlin hat derzeit 11 Flüge zwischen 22 und 23 Uhr. Der Geschäftsführer von Easyjet kritisierte: "einen Flughafen um 22 Uhr zu schließen, ist so, als wenn man das WM-Endspiel nach 70 Minuten abpfeifen würde“. Bis 24 Uhr müsse der Flughafen ohne Einschränkungen geöffnet sein.
Die Lufthansa sah durch das Nachtflugverbot Probleme für die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Flughafens. Beschränkungen in den Randzeiten bedeuteten Probleme für die Luftfracht und den Ferienflieger Condor. Touristische und Charterflieger müßten, um ihren Kunden günstige Preise zu bieten, drei Umläufe nach Mallorca und Zurück pro Tag schaffen. "Nur so können wir wirtschaftlich arbeiten", sagte Lufthansa-Sprecher Ellerbeck.
Der Vorsitzende des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft Kapell schimpfte; "Eine Milliardeninvestition zum Halbtagsgeschäft machen zu wollen - das zeugt davon, wie weit die deutsche Justiz noch vom globalisierten Wirtschaftsleben entfernt ist." Wenn keine juristische Korrektur möglich ist, dann wird uns der Markt korrigieren." Diese Korrektur würde sich auf dem Arbeitsmarkt, in den Pleitestatistiken und den Abwanderungszahlen aus der Region niederschlagen. Der Verband der Spediteure sagte, aus seiner Sicht würden sich keine neuen Impulse für die Region ergeben, statt dessen werde die Luftfracht am Flughafen Leipzig zunehmen.
Flughafengesellschaft und Politik übten sich derweil in Schadensbegrenzung. Man wartet auf die ausführliche Urteilsbegründung und hofft, dass alles nicht so schlimm kommen wird wie es jetzt aussieht. "Wenn die Notwendigkeit nachgewiesen wird, können möglicherweise auch Flugzeuge in den Randzeiten starten und landen" meinte in Sprecher der Flughafengesellschaft. Der Flughafen sehe die Hauptaufgabe darin, "zusammen mit den Airline-Kunden den klaren Bedarfsnachweis" für die Randzeiten zu führen.
Ein Rechtsexperte der Freien Universität Berlin interpretierte die Formulierung des Gerichtsurteils zu Flügen in den Nachtrandzeiten ale "eine gewisse Flexibilität". Wenn die Voraussetzungen sich änderten - also zwingender Bedarf für die Randzeiten entstehen würde, könnten sich auch die Auflagen ändern. Auch wirtschaftliche Aspekte könnten zu den "nachvollziehbaren Gründen" gehören. In den Staatskanzleien von Berlin und Brandenburg sieht man auch das Nachtflugverbot von 0-5 Uhr offenbar nicht so verbissen. Wenn sich die Verhältnisse ändern würden, könnten sowohl die Flughafengesellschaft als auch die Anwohner einen Änderungsantrag bei der Luftverkehrsbehörde stellen, die darüber entscheiden müsse. Die Entscheidung landet dann wahrscheinlich wieder beim Bundesverwaltungsgericht - Arbeit für Rechtsanwälte.
Die Schutzgemeinschaft der hauptbetroffenen Kommunen kritisierte Äußerungen der Politik in Brandenburg, man wolle die Ruhezeiten von 22 bis 24 Uhr und von 5 bis 6 Uhr "sehr großzügig zugunsten wirtschaftlicher Interessen auslegen". Dies sei "eine Kriegserklärung an jene, deren Gesundheit und Eigentum durch die Festlegungen des Leipziger Gerichts ohnehin nur sehr begrenzt geschützt wird."
Man sieht jetzt schon: das von den Anwohnern erhoffte Nachtflugverbot, möglichst von 22-6 Uhr, ist noch keineswegs in trockenen Tüchern. Wenn das Gericht in der Urteilsbegründung seine Entscheidung nicht weiter konkretisiert, könnte es in Berlin die gleichen Probleme geben, die auch in Frankfurt für die geplanten Nachtflugbeschränkungen vorausgesehen werden.
BBI: Erfolg oder Milliardengrab?
Der wirtschaftliche Erfolg des BBI ist nach wie vor umstritten. Der Berliner Senat äußerte sich zuversichtlich, dass die Finanzierung des neuen Flughafens und dessen Wirtschaftlichkeit nicht gefährdet sein - unter der Voraussetzung, dass die Randzeiten intensiv genutzt werden. Dass der Flughafen Berlin zu einem goßen europäischen Drehkreuz wird, glaubt mittlerweile nicht einmal mehr die Politik. Auch mit dem Frachtverkehr, so meinen viele, sei wegen des Nachtflugverbots kein großes Geschäft mehr zu machen. In einem Artikel der FAZ vom 19.3.06 war zu lesen: "Berlin freut sich auf seinen neuen Großflughafen. Völlig zu Unrecht. Flugzeuge werden dort nur selten vorbeikommen." Nach einer Studie der Boston Consulting Grupp würde die "Mittelklasse" der Flughäfen, zu denen Berlin gehöre, langfristig zu den Verlierern gehören.
Auch die Ausbau-Gegner glauben eher an eine Pleite als an einen Erfolg des Projektes. Die Bürgerinitiave BVBB schätzt, dass der Flughafen BBI inklusive der schon angefallenen Kosten den Steuerzahler bis zu 6 Milliarden kosten könnte. Der Bürgermeister von Schulzendorf, zentrale Figur im Widerstand der betroffenen Gemeinden, sagte während einer Fernsehsendung, noch nie habe er so viele negative Kommentare zum Flughafen BBI in der Presse gelesen wie jetzt. Dies sei ein Beweis für den falschen Standort: "In Sperenberg könnten wir schon längst fliegen."
Am Rande: ein amerikanischer Investor, der einen kleinen ehemaligen Militärflughafen in Drewitz (das liegt bei Cottbus) zu einem zweiten Hahn ausbauen will,bauen will, bot Belin eine Kooperation an. Frachtflüge könnten nachts vom Flughafen Drewitz abgewickelt werden. Die Chancen sind allerdings nicht allzu gut: Frachtflieger werden wohl lieber nach Leipzig gehen. Dort läuft das Geschäft derzeit gut.
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