Ministerpräsident Bouffier, Minister Posch und die Spitzen von Fraport und Luftverkehrsgesellschaften haben heute das mit (mehr oder weniger) Spannung erwartete Paket mit neuen Maßnahmen zum Schutz vor Fluglärm vorgestellt - es enthält ein gemeinsames Papier mit dem Titel "Gemeinsam für die Region - Allianz für mehr Lärmschutz 2012" mit Maßnahmen zum aktiven Schallschutz und 335 Millionen Euro für passive Schallschutzmaßnahmen und Entschädigungen. Bouffier versprach, man werde künftig "höher und leiser" fliegen, es werde eine deutliche Entlastung geben.
Fraport-Chef Schulte stellte die Bereitschaft von Fraport heraus, "weit über die gesetzlichen Anforderungen hinaus" einen weiteren Beitrag für die "Vereinbarkeit zwischen den wirtschaftlichen Erfordernissen und dem notwendigen Schutz der Bewohner in der Region zu leisten". Der Vorstandsvorsitzende der Lufthansa Franz sagte, man arbeite nach Kräften daran, den Flugbetrieb mit den Interessen der Anwohner in Einklang zu bringen. Lufthansa investiere 17 Milliarden Euro in die Modernisierung der Flugzeugflotte. Dafür erwarte man "wettbewerbsfähige Betriebsregelungen", damit sich das auch rechnet.
Die DFS äußerte guten Willen und Verständnis, man tue alles was sinnvoll und möglich sei, um den Lärm zu mindern. Die BARIG untersützte die geplanten Maßnahmen verbal und will sie ihren Mitgliedern kommunizieren, mit dem Ziel, dass sich möglichst viele Airlines beteiligen. Und nicht zu vergessen: der FFR-Vorsitzende Prof. Wörner. Der freute sich, dass die Landesregierung die Arbeit des FFR unterstützt.
- Berichte und Video bei hr inline
- Pressemitteilung der hessischen Landesregierung vom 29.02.2012
- Papier "Allianz für Lärmschutz" (PDF)
- Präsentation (PDF) zum Papier (mit Karten, Routen etc.)
Erklärung "Allianz für mehr Lärmschutz 2012 - was steht drin?
Die vorliegende Vereinbarung wird in der Einleitung als Fortsetzung der "Gemeinsamen Erklärung vom 12. Dezember 2007" und dem Landtagsbeschluss vom gleichen Tag bezeichnet und soll dem Interessenausgleich zwischen der Luftverkehrswirtschaft und der Region dienen.
Regionalfonds, CASA-Programm
Für den passiven Schallschutz soll mehr Geld ausgegeben werden, um den aktuell am stärksten betroffenen Anwohnern (unter den Endanflugrouten der neuen Bahn) zu helfen. Die Rede ist von 335 Mio Euro. Konkret soll ein Regionalfonds eingerichtet werden, zu dem das Land Hessen 100 Mio Euro beisteuert (aus der dem Land zustehenden Fraport-Dividende) und Fraport 15-20 Mio. Euro. Dazu kommen 150 Mio, die von der Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen als Darlehen vergeben werden sollen. Die Mittel sollen ab Mitte 2012 zur Verfügung stehen. Mittelfristig sollen eventuell für den Regionalfonds auch Kommunen angezapft werden, die vom Flughafen profitieren, etwa durch Gewerbesteuern. Der Stadt Frankfurt "wird die Möglichkeit offen gehalten, sich am Regionalfonds entsprechend zu beteiligen".
Fraport legt darüber hinaus eine neue Version des CASA-Programms auf, um Immobilien in den am höchsten belasteten Bereichen aufzukaufen und den Eigentümern den Umzug zu ermöglichen. Das Programm CASA II soll mit 70 Mio. Euro ausgestattet werden, der Kreis der Anspruchsberechtigten soll sich etwa verdoppeln. Die Kriterien für die Vergabe der Mittel sollen vom Forum Flughafen und Region (FFR) als "Vertreter der Region" erarbeitet werden.
Aktiver Schallschutz: höher, leiser, auf anderen Routen fliegen
Die meisten angekündigten Maßnahmen zum aktiven Schallschutz waren schon im Vorfeld bekannt. So sollen die Gegenanflüge um jeweils 1000 Fuß angehoben und die Überflüge in Offenbach und Mainz um einen nicht nicht genannten Betrag. Auf die Nordwestbahn soll probehalber mit 3,2 Grad angeflogen werden statt mit 3 Grad wie üblich. Der kontinuierliche Sinkflug soll wann immer möglich eingesetzt werden. Mittelfristige Zielsetzung ist dazu die Einführung des "Point Merge"-Verfahrens bis 2015. Das Verfahren DROPS (wechselnde Nutzung von Flugrouten jeden zweiten Tag) soll auf die Zeit von 6-7 Uhr ausgeweitet werden. Details findet man in der Präsentation zum Papier.
Für weitere Maßnahmen, etwa andere Anflugverfahren oder Reduzierung des Bodenlärms, sollen Forschungsprojekte gestartet werden. Unter dem Kapitel "Noch zu prüfen" sind die umstritteneren Maßnahmen aufgeführt, die derzeit hinter verschlossenen Türen von den verschiedenen "Expertengremien" ausgearbeitet werden - sie mindern den Lärm nicht, sondern verteilen ihn anders. Der gekrümmte Landeanflug, "Segmented Approach" (dessen Testphase war erfolgreich, wie man mit Überraschung zur Kenntnis nimmt), soll auf die Zeit ab 21 oder 22 Uhr ausgedehnt werden. Gekrümmte Anflüge mit ILS-Unterstützung sollen den Nutzungsgrad des Verfahrens verbessern. Erwähnt sind auch neue oder geänderte Abflugrouten in Richtung Darmstadt und in Richtung Norden/Nordosten.
Leisere Flugzeuge
Lufthansa will laute Flugzeuge, z.B. vom Typ B737, durch leisere Modelle ersetzen und einige vorhandene Modelle nachrüsten, damit sie etwas leiser werden. Fraport will die lärmabhängigen Entgelte für Starts und Landungen aufkommensneutral weiter spreizen.
Ob es durch alle diese Maßnahmen wirklich leiser wird, steht in den Sternen. Schließlich soll der Flugverkehr bis auf 700000 Flugbewegungen zunehmen. Die Unterzeichner bekräftigen in der Erklärung dann auch ihre schon in der "Gemeinsamen Erklärung" geäußerten Absicht, die "Betroffenheit gegenüber dem für 2020 prognostizierten Wert" (aber nicht gegenüber dem jetzigen!) deutlich zu reduzieren. Wenn die Region nicht aufpasst, dann eine solche Reduzierung auch durch geschickte Verteilung und die richtige Berechnung (Stichwort Frankfurter Fluglärmindex erreicht werden. In einem Punkt hat der Protest aber doch Wirkung gezeigt: Die DFS muss von ihrem Olymp absteigen. Verfahren, die dir Flugsicherung noch vor ein oder zwei Jahren schlicht mit "technisch unmöglich" vom Tisch gefegt hätte, werden jetzt zumindest geprüft.
Erste Reaktionen zum Fluglärmgipfel
Die Betroffenen zeigten wenig Begeisterung für die angekündigten Maßnahmen der Landesregierung. Auch der 3. Fluglärmgipfel habe nichts als heiße Luft produziert, schimpfte das Bündnis der Bürgerinitiativen. Der BUND zeigte sich enttäuscht. Es habe keinerlei verlässliche Zusagen für eine Reduzierung des Fluglärms gegeben. Die Fluglärmkommission begrüße einige Maßnahmen, zeigte sich aber enttäuscht, dass weder ein Nachtflugverbot noch eine Lärmobergrenze vereinbart worden sei. Betroffene Bürgerinnen und Bürger in den am stärksten belasteten Zonen wollen kein Geld für ihre Häuser, sondern ihre Ruhe zurück.
Die Oppositionspolitiker wiederholten ihre Forderungen nach einem längeren Nachtflugverbot, der Rücknahme der Revision durch die Landesregierung oder forderten die sogar die Schließung der Bahn. Zumindest sind sich alle einig, dass die Maßnahmen zu spät kommen, sie hätten spätestens mit der Eröffnung der Landebahn fertig sein müssen. Nur in der Pressemitteilung der Grünen erfolgt eine ausführlichere sachliche Auseinandersetzung mit den Inhalten. Auch in Rheinland-Pfalz zeigte man sich unzufrieden. Besonders betroffene Gemeinden in Rheinland-Pfalz sollten auf freiwilliger Basis ebenfalls Unterstützung für Schallschutzmaßnahmen erhalten, meinte Infrastrukturminister Lewentz.
Im Lager der Regierungsparteien gab es dagegen auch richtige Begeisterung: "Der Fluglärmgipfel der Landesregierung ist, wie der heutige Tag zeigt, ein voller Erfolg für die von Fluglärm betroffenen Anwohner", sagte der stellvertretende Vorsitzende der Landtagsfraktion der FDP Greilich der Gießener Zeitung. Nun ja, Gießen ist weit weg.
- BBI: "Fluglärmgipfel" hat wieder nur heiße Luft produziert
Pressemitteilung vom Bündnis der Bürgerinitiativen vom 29.02.2012 - Fluglärmkommission: Chance auf Lärmobergrenze vergeben!
Erste Reaktion der Fluglärmkommission vom 29.02.2012 - Bouffiers Fluglärmgipfel: Umzugsbeihilfen statt Lärmreduzierung"
Pressemitteilung der Grünen vom 29.02.2012 - Artikel in der FNP
Wer sich für die Geschichte der Gemeinsamen Erklärung von 2007 interessiert, kann die Vorgänge dazu im Beitrag Geheimverhandlungen im RDF - die "Anti-Lärm-Pakt" Affäre nachlesen.
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