EU-Kommission vermutet Verletzung der Seveso-Richtlinie
Bundesregierung zu Stellungnahme aufgefordert
<2003-11-25>
Die EU-Kommission hat auf die Beschwerde der FAG hin in einem Antwortschreiben die Bundesregierung zu einer Stellungnahme und der Lieferung weiterer Informationen aufgefordert. Eine Antwort wird von der Kommission bis zum 12.12.03 erwartet.
Der Brief gelangte jetzt in die Öffentlichkeit und ist hier als Abschrift wiedergegeben.
----------- Schreiben der EU-Kommission ---------------
Europäische Kommission
Generaldirektion Umwelt - Der Generaldirektor
Brüssel, den 10.11.2003
Seiner Exzellenz
Herrn Dr. Wilhelm SCHÖNFELDER
Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland
bei der Europäischen Union
Rue de Lalaing l9-21
1040 Brüssel
Herr Botschafter,
bei meinen Dienststellen ist eine Beschwerde zur Anwendung der Richtlinie 96/82//EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen ("SEVESO II-Richtlinie") eingegangen, die unter der Nummer 2003/5086 registriert worden ist.
Die Beschwerde betrifft den geplanten Ausbau des Flughafens Frankfurt/Main. Nach Ansicht des Beschwerdeführers verstößt die Landesplanerische Beurteilung der Vorhabensvariante Landebahn Nordwest vom 11. Juni 2002 (Az. V 31.1-93 d 08/09 - E 43) gegen Artikel 12 der Seveso-II-Richtlinie, weil sie keine abschließende Beurteilung das Absturzrisikos von Flugzeugen, die auf der geplanten Landebahn Landebahn Nordwest landen, auf in der Einflugschneise liegende Betriebe und Anlagen im Sinne der Seveso-II-Richtlinie enthält, aber dennoch prinzipiell die Raum- und Umweltverträglichkeit der Vorhabensvariante feststellt.
Gemäß Artikel 12 (I) der Seveso-II-Richtlinie haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass in ihren Politiken der Flächenausweisung oder Flächennutzung und/oder anderen einschlägigen Politiken das Ziel, schwere Unfälle zu verhüten und ihre Folgen begrenzen, Berücksichtigung findet. Dazu haben sie nicht nur die Ansiedlung neuer Betriebe und die Änderungen bestehender Betriebe sondern auch neue Entwicklungen in der Nachbarschaft bestehender Beiriebe wie beispielsweise Verkehrswege zu überwachen, wenn damit verbundene Maßnahmen das Risiko eines schweren Unfalls vergrößern oder die Folgen eines solchen Unfalls verschlimmern können.
In unmittelbarer Umgebung der geplanten Landebahn Nordwest befinden sich mehrere der Seveso-II-Richtlinie unterfallende Betriebe, insbesondere die Firmen Ticona (Chemiefabrik) und Infraserv Höchst (Etylenverdichterstation nebst Rohrleitungen). Darüber hinaus ist auch der Frankfurter Flughafen selbst ein Störfallbetrieb im Sinne der Seveso-II-Richtlinie.
Das Raumordnungsverfahren ist nach Einschätzung der Kommission eine "Politik der Flächenausweisung oder Flächennutzung" im Sinne der Richtlinie. Damit hätten in diesem Verfahren, insbesondere vor Feststellung der Raumverträglichkeit der Nordwest-Variante, das Absturzrisiko von Flugzeugen, die auf der Landebahn Nordwest landen, auf in der Einflugschneise liegenden Betriebe und Anlagen im Sinne der Seveso-II-Richtlinie sowie mögliche "Domino-Effekte" zwischen diesen Anlagen und dem Frankfurter Flughafen abschließend untersucht werden müssen.
Dies ist nicht geschehen. In der Landesplanerischen Feststellung heißt es vielmehr:
"In der Risikoanalyse fehlen die (...) Beschäftigten (der umliegen Störfallbetriebe), die sich auch fast ständig in ihren Betrieben aufhalten. Es ist wahrscheinlich, dass die Risikowerte bei diesen Beschäftigten höher ausfallen als bei manchen Einwohnern in den untersuchten Zonen. Es fehlt somit ein gewichtiger Risikofaktor, der das Gesamtgebiet bzw. die Gesamtanalyse möglicherweise erheblich verändern kann. Die endgültige Beurteilung des Risikofaktors muss daher zunächst offen bleiben und im Planfeststellungsverfahren vorgenommen werden. (...)
Auch die Frage, inwieweit landende oder durchstartende Flugzeuge mit Sichtbehinderungen durch betriebliche Vorgänge auf dem Ticona-Gelände rechnen müssen ...) und dadurch deren Sicherheit beeinträchtigt wird, konnte im Raumordnungsverfahren nicht abschießend geklärt werden" (LP. S. 141)
Nach einer ersten Analyse des Sachverhalts gehen die Dienststellen der Kommission davon aus, dass Artikel 12 der Seveso-II-Richtlinie verletzt wurde.
Für eine abschließende Beurteilung des Falles möchten wir Sie aber noch um folgende Informationen bitten:
Hochachtungsvoll
(Catherine Day)
Der Brief gelangte jetzt in die Öffentlichkeit und ist hier als Abschrift wiedergegeben.
----------- Schreiben der EU-Kommission ---------------
Europäische Kommission
Generaldirektion Umwelt - Der Generaldirektor
Brüssel, den 10.11.2003
Seiner Exzellenz
Herrn Dr. Wilhelm SCHÖNFELDER
Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland
bei der Europäischen Union
Rue de Lalaing l9-21
1040 Brüssel
Herr Botschafter,
bei meinen Dienststellen ist eine Beschwerde zur Anwendung der Richtlinie 96/82//EG des Rates vom 9. Dezember 1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen ("SEVESO II-Richtlinie") eingegangen, die unter der Nummer 2003/5086 registriert worden ist.
Die Beschwerde betrifft den geplanten Ausbau des Flughafens Frankfurt/Main. Nach Ansicht des Beschwerdeführers verstößt die Landesplanerische Beurteilung der Vorhabensvariante Landebahn Nordwest vom 11. Juni 2002 (Az. V 31.1-93 d 08/09 - E 43) gegen Artikel 12 der Seveso-II-Richtlinie, weil sie keine abschließende Beurteilung das Absturzrisikos von Flugzeugen, die auf der geplanten Landebahn Landebahn Nordwest landen, auf in der Einflugschneise liegende Betriebe und Anlagen im Sinne der Seveso-II-Richtlinie enthält, aber dennoch prinzipiell die Raum- und Umweltverträglichkeit der Vorhabensvariante feststellt.
Gemäß Artikel 12 (I) der Seveso-II-Richtlinie haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass in ihren Politiken der Flächenausweisung oder Flächennutzung und/oder anderen einschlägigen Politiken das Ziel, schwere Unfälle zu verhüten und ihre Folgen begrenzen, Berücksichtigung findet. Dazu haben sie nicht nur die Ansiedlung neuer Betriebe und die Änderungen bestehender Betriebe sondern auch neue Entwicklungen in der Nachbarschaft bestehender Beiriebe wie beispielsweise Verkehrswege zu überwachen, wenn damit verbundene Maßnahmen das Risiko eines schweren Unfalls vergrößern oder die Folgen eines solchen Unfalls verschlimmern können.
In unmittelbarer Umgebung der geplanten Landebahn Nordwest befinden sich mehrere der Seveso-II-Richtlinie unterfallende Betriebe, insbesondere die Firmen Ticona (Chemiefabrik) und Infraserv Höchst (Etylenverdichterstation nebst Rohrleitungen). Darüber hinaus ist auch der Frankfurter Flughafen selbst ein Störfallbetrieb im Sinne der Seveso-II-Richtlinie.
Das Raumordnungsverfahren ist nach Einschätzung der Kommission eine "Politik der Flächenausweisung oder Flächennutzung" im Sinne der Richtlinie. Damit hätten in diesem Verfahren, insbesondere vor Feststellung der Raumverträglichkeit der Nordwest-Variante, das Absturzrisiko von Flugzeugen, die auf der Landebahn Nordwest landen, auf in der Einflugschneise liegenden Betriebe und Anlagen im Sinne der Seveso-II-Richtlinie sowie mögliche "Domino-Effekte" zwischen diesen Anlagen und dem Frankfurter Flughafen abschließend untersucht werden müssen.
Dies ist nicht geschehen. In der Landesplanerischen Feststellung heißt es vielmehr:
"In der Risikoanalyse fehlen die (...) Beschäftigten (der umliegen Störfallbetriebe), die sich auch fast ständig in ihren Betrieben aufhalten. Es ist wahrscheinlich, dass die Risikowerte bei diesen Beschäftigten höher ausfallen als bei manchen Einwohnern in den untersuchten Zonen. Es fehlt somit ein gewichtiger Risikofaktor, der das Gesamtgebiet bzw. die Gesamtanalyse möglicherweise erheblich verändern kann. Die endgültige Beurteilung des Risikofaktors muss daher zunächst offen bleiben und im Planfeststellungsverfahren vorgenommen werden. (...)
Auch die Frage, inwieweit landende oder durchstartende Flugzeuge mit Sichtbehinderungen durch betriebliche Vorgänge auf dem Ticona-Gelände rechnen müssen ...) und dadurch deren Sicherheit beeinträchtigt wird, konnte im Raumordnungsverfahren nicht abschießend geklärt werden" (LP. S. 141)
Nach einer ersten Analyse des Sachverhalts gehen die Dienststellen der Kommission davon aus, dass Artikel 12 der Seveso-II-Richtlinie verletzt wurde.
Für eine abschließende Beurteilung des Falles möchten wir Sie aber noch um folgende Informationen bitten:
- Die Dienststellen der Kommission haben erfahren, dass sich gegenwärtig die Störfallkommission mit dem Fall befasst. Teilen Sie uns bitte zunächst mit, ob dies zutrifft. Weiterhin wüssten wir gerne, wann mit einem Ergebnis der Untersuchungen der Störfallkommission zu rechnen ist, und inwiefern dieses Ergebnis in das weitere Verfahren einbezogen werden wird. In diesem Zusammenhang wüssten wir insbesondere gerne, ob die Bundesregierung eventuell eine Wiederaufnahme des Raumordnungsverfahrens in Erwägung zieht. Abschließen möchten wir Sie auffordern, uns über den weiteren Verlauf sowie über das Ergebnis der Arbeit der Störfallkommission zu unterrichten.
- Wir haben weiterhin erfahren, dass der TÜV Pfalz eine Qualitätsuntersuchung der bisher vorliegenden Expertisen durchgeführt hat. Teilen Sie uns bitte mit, zu welchem Ergebnis diese Untersuchung gekommen ist. Senden Sie uns möglichst auch eine Kopie dieser Studie
- Wir haben darüber hinaus erfahren, dass die Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren am 3. November 2003 sowohl bei der Bundesregierung als auch bei der Hessischen Landesregierung den Erlass eines Moratoriums im laufenden Planfeststellungsverfahren beantragt haben. Teilen Sie uns bitte mit, wie über dieses Moratorium entschieden wird.
Hochachtungsvoll
(Catherine Day)
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Absturz-Gefahr Gefahren durch Flughafenausbau FRA Ticona EU - Richtlinien Bundesregierung (Deutschland) Raumordnungsverfahren FRA-Ausbau EU-Kommission
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